Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
morgen?«
»Im Grunde schon, aber ich bin gerade so erschüttert, dass ich denke, ich muss es Ihnen jetzt mitteilen.«
Komisch, dachte Ann Kathrin, es ist nicht das erste Mal, dass dieser Frau plötzlich etwas einfällt und sie es unbedingt loswerden will.
Jetzt hörte sie sich gar nicht mehr an, als würde sie zu der Aussage gezwungen, und in Ann Kathrins Kopf entstand ein neues Bild. Das von Frau Professor Hildegards Hintern, den Rupert ja angeblich auf dem Foto aus Dr. Ollenhauers Computer erkannt hatte.
»Die Sache mit dem ausgestopften Kind hat mir keine Ruhe gelassen, und ich habe alte Akten verglichen. Es ist knapp zwei Jahre her, da wurde ein Digitus pedis Eins gefunden.
»Pedis wer?«
»Das ist der dicke Zeh eines Menschen. Der Knochen muss mit dem Grünabfall ins Entsorgungszentrum Breinermoor gelangt sein. Dort werden die Grünabfallsäcke im Kompostwerk noch per Hand geöffnet. Ich weiß noch, dass damals ein ziemlicher Aufwand betrieben wurde, um herauszubekommen, aus welchem Haus der Zeh kam, doch das konnte nicht ermittelt werden. Nicht einmal den Straßenzug kennen wir … Aber aus dem Großgebiet Moormerland ist er garantiert.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Ich habe die DNA verglichen. Sie ist identisch mit der von Jule Freytag, unserer Moorleiche.«
Ann Kathrin setzte sich im Wohnzimmer aufs Sofa und sah ihr Spiegelbild im Flachbildschirm ihres Fernsehgeräts. Sie kam sich zu dick vor.
»Danke, Frau Dr. Hildegard. Damit haben Sie uns wirklich weitergeholfen.«
Die Professorin atmete erleichtert auf.
»Bleiben Sie bitte mal einen Moment dran«, bat Ann Kathrin.
Komisch, dachte sie, für eine Pathologin, die es ständig mit Leichen zu tun hat und mit unnatürlichen Todesfällen, ist sie merkwürdig aufgeregt. So, als würde für sie persönlich viel dranhängen.
Ann Kathrin glaubte der Frau die Betroffenheitsnummer nicht. Vielleicht um ihr eigenes Spiegelbild nicht länger ertragen zu müssen, stand Ann Kathrin mit dem Telefon in der Hand auf und ging zu ihrem Laptop, der immer noch draußen am Strandkorb stand. Sie rief noch einmal die Bilder auf und sah sich die Knochensammlung genau an.
»Nein«, sagte Ann Kathrin, »hier fehlt nichts.«
»Bitte? Ich verstehe nicht.«
»Ja, das können Sie auch nicht. Die Knochen von Jule Freytag sind im Uplengener Moor gefunden worden. Und hier sehe ich zwei Großzehenknochen. Es ist wohl kaum denkbar, dass ein Mensch drei solcher Zehen hat.«
»Ja, aber …«
»Haben Zwillinge die gleiche DNA, Frau Professor?«
»Eineiige Zwillinge haben identisches Erbgut.«
Ann Kathrin las, die Zehen würden zu einem ägyptischen Fuß gehören. Sie fragte: »Was bedeutet das, ägyptischer Fuß? Ich war davon ausgegangen, dass Jule Freytag Deutsche ist oder zumindest Mitteleuropäerin.«
Frau Professor Hildegard lachte, wenn auch nur gequält, auf: »Wir unterscheiden zwischen einem ägyptischen Fuß, da ist die zweite Zehe kürzer als die Großzehe, einem römischen Fuß, die zweite Zehe und die Großzehe sollten dabei gleich lang sein, und einem griechischen Fuß, bei dem die zweite Zehe länger ist als die Großzehe.«
Ann Kathrin bat Frau Professor Dr. Hildegard, ihr das alles als Bericht zukommen zu lassen.
Vielleicht, dachte Ann Kathrin, wusste sie das alles längst und rückt erst jetzt mit der Sprache heraus, weil wir ihren Freund Ollenhauer hopp genommen haben, und jetzt will sie ihren zweifellos schönen Hintern retten.
Sofort versuchte Ann Kathrin, Ubbo Heide zu erreichen. Der klang, als sei er völlig übermüdet und hätte seinen Ostfriesentee intravenös bekommen. Er war aufgekratzt wie selten, darunter hörte sie aber seine Ermattung.
»Ubbo«, sagte Ann Kathrin, »Janis Freytag ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso zur Mumie geworden wie ihre Schwester.«
»Ann, das kann alles sein, aber der Fall ist alt, und wir sitzen hier akut in Problemen. Das zweite Baby ist ebenfalls entführt worden, und die Zusammenarbeit mit dem BKA gestaltet sich nicht gerade erfreulich. Wir haben hier alle die Nerven ziemlich blank liegen. Wir müssen uns jetzt auf diesen Fall konzentrieren und können uns nicht an mehreren Kriegsschauplätzen verzetteln.«
»Das ist es ja gerade, was ich dir sagen will, Ubbo. Fällt dir denn nichts auf?«
»Was soll mir auffallen?«, stöhnte er wie ein Mann kurz vor dem Nervenzusammenbruch, der sich noch einmal zusammenreißt, um das Blatt zu wenden.
»Es geht um Zwillinge.«
»Du meinst …«
Sie nutzte
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