Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
der Blauen Balje« lachte ihn an. Es kostete ihn Mühe, aber er blieb standhaft.
Ann Kathrin braucht jetzt mich und meine ganze Aufmerksamkeit, dachte er, da kann ich mich nicht mit einem Krimi zurückziehen.
Er kaufte Seelachs ein und Gemüse. Er wollte das alles würfeln und mit gutem Olivenöl im Wok zubereiten. Es würde nur ein paar Minuten dauern, und sie hätten eine gesunde Mahlzeit. Notfalls konnte er das Ganze auch morgen kochen.
Dann, als er rausging, hielt er es doch nicht länger aus. Er griff zu dem Krimi, kaufte ihn fast heimlich, wie eine verbotene Droge, und lief dann zu seinem Auto.
Auf der Höhe von Uplengen überlegte er, noch einmal abzubiegen und sich den Tatort allein anzuschauen, obwohl er sich sicher war, dass der Fundort auf keinen Fall der Tatort war. Aber warum, verdammt, machte sich jemand so viel Mühe, ein totes Kind zu präparieren, bewahrte es jahrelang auf und warf es dann einfach weg?
In dem Moment fiel ihm glühend heiß ein, dass der Täter die Leichenteile ja irgendwo entsorgt haben musste. Die Knochen. Die Innereien. Das Fett. Die Muskelmasse.
Weller schüttelte sich und kämpfte darum, die gute Bratwurst drin zu behalten.
Sie hatten doch nichts weiter gefunden als die Hülle. Der Täter musste das Kind praktisch abgehäutet haben. Aber wo war der Rest geblieben? Lag noch irgendwo ein Skelett?
Erst jetzt wurde ihm deutlich, dass er Frau Professor Dr. Hildegard gar nicht gefragt hatte, ob unter dem Gesicht auch noch ein richtiger Schädel war. Knochen. Oder lag das alles noch im Uplengener Meer?
Er stellte sich vor, wie ein Täter die Innereien eines Menschen nachts an Fische und Vögel verfütterte. Sicherlich würden die ganze Arbeit leisten. Aber dann wären die Knochen noch im See.
Hatte der Täter irgendeinen Bezug zu diesem Ort? Vielleicht stand auch das Opfer in irgendeiner Beziehung zum Moorgebiet.
Immer wieder, wenn er über die Lösung eines Falles nachdachte, erwischte er sich bei dem Gedanken: Wie würde Ann Kathrin es machen?
Ganz sicher würde sie versuchen, alles über Moore in Ostfriesland in Erfahrung zu bringen, über das Ausstopfen von Menschen und Tieren, und schließlich würde sie den Fundort aufsuchen, dort ganz allein sein und hereinspüren, ob der Ort ihr etwas zu erzählen hatte.
Weller stellte sich vor, dass er sich nächtelang dort den Arsch abfrieren könnte, ohne dass der Ort jemals zu ihm sprechen würde, aber bei Ann Kathrin war das anders.
Ich bin nicht Ann Kathrin, sagte er sich zerknirscht. Ich muss andere Methoden anwenden. Damit kommen wir auch zum Ziel.
Der Täter kann nur aus einer klar einzugrenzenden Personengruppe kommen. Die knöpfe ich mir notfalls alle selbst vor.
Aber dann sahen Ann Kathrin und Weller sich nicht in ihrem gemütlichen Zuhause im Distelkamp 13 in Norden wieder, sondern pflichtbewusst bei einer Dienstbesprechung in der Polizeiinspektion Aurich im Fischteichweg.
Es gab auch keine Fisch-Gemüse-Pfanne, sondern Stuten mit Rosinen und dazu Schwarztee.
Rieke Gersema hielt die Tasse mit beiden Händen und beugte ihren Kopf darüber. Der heiße Dampf kondensierte auf ihren Brillengläsern, während sie den Teeduft einatmete.
Ubbo Heide hatte vor sich einen Marzipanseehund von ten Cate liegen und schien geradezu darüber zu meditieren. Er brach kleine Stückchen ab, rollte sie zwischen den Fingern zu Kugeln zusammen, führte sie andächtig zum Mund und ließ sie auf der Zunge zergehen. Er war hochkonzentriert. Er, der bekennende Boßler und Klootschießer, hatte in seiner Freizeit ein eher mediterranes Verständnis von Pünktlichkeit. Im Dienst dagegen pflegte er preußische Tugenden, und Unpünktlichkeit war ihm verhasst. Er hatte keineswegs vor, auf Rupert oder Sylvia Hoppe zu warten.
Ann Kathrin schien es wieder besser zu gehen, was ihn beruhigte. Sie stopfte den frischen Rosinenstuten in sich hinein, als hätte sie lange nichts gegessen. Aber da war ein Glanz in ihren Augen, als hätte nicht ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten, sondern als sei etwas Schönes, ja Beglückendes, geschehen.
Ubbo Heide deutete auf ein paar Blätter, die vor ihm lagen, und sagte: »Das hier, liebe Kollegen, ist kein Obduktionsbericht, sondern ein Alptraum.«
Weller nickte. »Ich komme gerade aus Oldenburg. Ich hab’s gesehen.«
Dabei musste er sich eingestehen, dass er kaum etwas gesehen hatte. Aber mit dem toten Körper in einem Raum zu sein, hatte ihm vollständig gereicht. Dazu die Worte von Frau Professor
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