Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Dr. Hildegard.
Er hatte in einer Tüte ein Stückchen Metalldraht mitgebracht und ließ es jetzt auf den Tisch segeln.
»Was ist das?«, fragte Ann Kathrin.
Ubbo Heide ahnte es und sah vor sich auf den Tisch.
Weller holte tief Luft. »Aus diesem Metalldraht hat der Täter den Körper des Mädchens nachgeformt und darüber die Haut gespannt. So ähnlich stelle ich es mir zumindest vor. Es ist ein kleinmaschiges Netz, wie bei einem Fliegengitter, nur viel stabiler.«
»Aber beweglich?«, wollte Ann Kathrin wissen.
Weller nickte. »Ja.«
»Es hat also jemand aus einem toten Mädchen eine Art Ausstellungsstück gemacht?«, fragte Rieke Gersema und sah sich mit ihrer beschlagenen Brille im Raum um.
»Ich würde es eher eine bewegliche Puppe nennen«, sagte Ann Kathrin.
»Du meinst, jemand hat mit ihr gespielt?«
»Es wäre denkbar.«
»Also«, fasste Ubbo Heide zusammen, »wir haben ein totes Mädchen, das jemand ausgestopft – ich nenne das jetzt mal so – und jahrelang irgendwo aufbewahrt hat. Anschließend hat er die Leiche, oder was davon übrig war, im Lengener Meer versenkt.«
»Ja«, gab Weller ihm recht, »und der Täter hat sich nicht viel Mühe gegeben. Es sind keine Gewichte am Körper. Über kurz oder lang wäre er sowieso aufgetaucht. Die Leiche hatte sich zwischen ein paar Ästen und Baumwurzeln verfangen. Ein Kranich hat das Material wohl für den Nestbau verwenden wollen und so den rechten Arm abgetrennt.«
Rieke Gersema winkte ab. »Ich kenne das Foto von Holger Bloem.«
Sylvia Hoppe betrat den Besprechungsraum, als würde sie zu spät zum Hauptfilm ins Kino kommen. Sie legte sogar einen Zeigefinger auf ihre Lippen und sagte: »Pscht!« Dann setzte sie sich.
Weller nickte ihr zu.
»Wenn das Kind seit vier oder fünf Jahren tot ist, müssen wir die Vermisstenkarteien durchgehen und nach einem Mädchen Ausschau halten, das in dieser Zeit als vermisst gemeldet wurde.«
Weller blätterte in seinen Unterlagen.
»Möglicherweise sieben«, flocht er ein. »Die Zeitangaben sind alle noch nicht sehr genau.«
Sylvia Hoppe legte eine Liste auf den Tisch. »In dem Zeitraum wurden einhundertacht Kinder vermisst, die bisher nicht wieder aufgetaucht sind. Auf neunundsechzig Mädchen treffen die Altersangaben in etwa zu.«
»Ich glaube, jeder von uns hat Lust, den Mörder zu fangen, aber bitte erspart mir eins, Freunde. Ich möchte nicht zu den Eltern gehen und ihnen erzählen, was mit ihrem Kind geschehen ist …«, sagte Weller.
Ubbo Heide hatte dafür Verständnis und betonte, in diesem Fall müsse natürlich ein Psychologe mitgehen, der in Kriseninterventionen geschult sei.
»Wie stellt ihr euch das denn praktisch vor?«, fragte Ann Kathrin. »Zunächst mal kennen wir doch die Identität des Mädchens gar nicht. Wir müssen also alle neunundsechzig Familien aufsuchen und sie mit der Möglichkeit vertraut machen, dass ihr Kind …«
»Vielleicht erkennt jemand die Jeans wieder …«, hoffte Weller.
»Ich denke, der Weg über eine DNA-Analyse wird hier der beste sein. Wir sollten zunächst keine Pferde scheu machen und Eltern aufschrecken, die schon genug erlebt haben«, schlug Ann Kathrin vor.
Ubbo Heide naschte an seinem Marzipan und klopfte dann mit der Faust auf den Tisch. »Wir werden noch heute Nacht sämtliche Leute aus dem Bett klingeln, die zu so einem Verbrechen überhaupt in der Lage sind.«
»Alle Ärzte Ostfrieslands?«, fragte Weller entgeistert.
Ubbo Heide schüttelte zornig den Kopf. »Natürlich nicht, Mensch! Tierpräparatoren. Jäger, die sich ausgestopfte Wildschweine an die Wände hängen. Trophäensammler.«
Weller nickte und winkte ab. »Schon klar.«
Nicht ganz ohne Spott in der Stimme fragte Ann Kathrin: »Das heißt, Ärzte schließen wir aus, weil das Ganze gegen den Hippokratischen Eid verstößt, oder was?«
»Dann will ich alles über diesen Draht wissen«, hustete Ubbo, der sich wohl am Marzipan verschluckt hatte. »Wo wurde das Zeug hergestellt, wie wird es vertrieben? Der Täter muss es ja irgendwoher haben. Es wird eine Menge Spezialwerkzeug nötig sein, um so etwas zu tun. Seziermesser, Chemikalien …«
Sylvia Hoppe meldete sich wie in der Schule zu Wort. »Schon in Arbeit. Knöpfen wir uns vor.«
Weller sagte es nicht gerne, aber jetzt rückte er damit heraus: »Der Rest der Leiche muss ja auch noch irgendwo liegen. Ich fürchte, wir sind mit dem Uplengener Moor noch nicht fertig.«
»Was hast du vor?«, fragte Rieke. »Willst du es
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