Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
die sie aber einer Polizistin gegenüber nicht benutzen wollte, weil sie fürchtete, einige der Ausdrücke könnten eine Beleidigungsklage wert sein.
Jetzt ging sie zur Attacke auf Thomas Schacht über: »Bestimmt hat er es selbst gemacht, um meinem Vater das Ding anzuhängen. Genau!«
Sie war begeistert von ihrer Idee und spann sie sofort weiter aus: »Der ist uns unauffällig gefolgt. So will er einen Keil zwischen meinen Vater und mich treiben. Er weiß natürlich genau, wo Tina ist, also kann er sie wiederfinden und den Helden spielen. Der fährt jetzt zu meinem Pa, haut den zusammen und behauptet dann, er hätte Tina gerettet, damit meine bekloppte Mutter noch verrückter auf ihn wird. Die ist ja eh schon rattendoll, und genau darauf steht er.«
»Entspringt das jetzt alles deiner blühenden Phantasie, oder entspricht das der Wahrheit?«
Ann Kathrin kannte das. Besonders pubertierende Mädchen verwechselten manchmal Wirklichkeit, Phantasie und Wunschdenken. Aber gerade, weil so etwas oft passierte, wurde ihnen häufig nicht geglaubt, wenn sie die Wahrheit sagten.
Es war ein schmaler Grat. Die Körpersprache des Mädchens war widersprüchlich.
»Es stimmt, dass sie rattendoll ist. Besoffen vor Liebe. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, wenn Sie sich für Ihre Mutter schämen? Wenn Ihre Freundinnen blöd grinsen? Ich kann keinen mehr nach Hause einladen. Das ist voll peinlich. Und dann heiraten die auch noch, und erst wollte meine Mutter seinen bescheuerten Namen annehmen. Dann hat sie es sich anders überlegt, weil ich dann nämlich einen anderen Namen gehabt hätte als sie. Und jetzt immer der Hassel mit den Zwillingen. Die Wunderkinder. Die waren schon hochbegabte Genies, da konnten die noch keinen Brei essen …«
Ann Kathrin ließ Lucy reden. Sie war froh, dass der Bann des Schweigens gebrochen war. An seiner Stelle brach nun ein natürliches Redebedürfnis durch. In dem Schwall von Beschimpfungen und Verdächtigungen käme irgendwann einmal die eigentliche, wichtige Information. Ann Kathrin sah ihre Aufgabe darin, diese ermittlungsrelevanten Aussagen herauszufiltern und dabei den ungehinderten Fluss der Worte zu begünstigen.
Rupert betrat den Raum. »Also. Da bin ich. Was gibt’s für mich zu tun?«
Ann Kathrin war von seinem Auftritt wenig begeistert, und sie machte keinen Hehl daraus.
»Was ist?«, fragte er.
Sie deutete mit dem Kopf kurz auf die Kleine, die jetzt schwieg. Sie hatte die Hoffnung, er würde kapieren, dass er störte. Aber da überschätzte sie seine Sensibilität gewaltig. Stattdessen polterte er:
»Ich war schon fast in Rhauderfehn, da hat der Bratarsch mich zurückgerufen.«
Ann Kathrin bremste ihn aus. »Das war ein Irrtum.«
»Häh? Was? Irrtum?«
»Ja. Kann ja mal passieren. Ein Kommunikationsproblem.«
»Boah, wenn ich solche Sprüche höre!« Er äffte sie nach: »Kann ja mal passieren! Ein Kommunikationsproblem! Das heißt, ich geb hier mal wieder den Deppen, ja?«
»Wir haben die Norden-Sache voll im Griff. Aber Ubbo erwartet deinen Bericht aus Rhauderfehn heute auf seinem Schreibtisch. Das ist eine ganz heiße Spur.«
Rupert stampfte aus dem Raum und knallte die Tür zu. Er hatte wohl registriert, dass Ann Kathrin nicht von Entführung gesprochen hatte, sondern von der Norden-Sache . Irgendwie drückte sich hier jeder vor einer klaren Ansage.
Warum, dachte er, fällt es uns leichter, jemandem zu sagen: »Ihr Partner wurde ermordet« als »Ihr Kind wurde entführt«?
Er fuhr wieder nach Rhauderfehn. Der Grill-Friese in Georgsheil lockte ihn auf unwiderstehliche Weise. Er brauchte eine Riesen-Currywurst mit Pommes und Mayo.
Als er satt war, ging es ihm besser. Er goss noch ein kleines Jever hinterher.
Dieser Ort hatte etwas, das Ruperts Potenz steigerte. Georgsheil. Südbrookmerland. Hier war die älteste Rinderbesamungsstation des Landes. Fast eine Million Dosen Bullensamen wurden von hier aus in Rinderzuchtbetriebe der ganzen Welt geschickt. Es gab hier eine Energie galoppierender Potenz, und Rupert redete sich ein, solange er hier regelmäßig eine scharfe Rindswurst aß, würde seine Manneskraft ihn nie im Stich lassen.
Zu gern hätte er zum Nachtisch Frauke vernascht. Er sah ihren göttlichen Hintern schon aufreizend tanzen.
Bevor er in Emden auf die Autobahn Richtung Leer fuhr, rief er Frauke an.
Ihre Stimme war anders, als er sie kannte. Weniger erotisch, eher streng. Er bereute sofort, ihre Nummer gewählt zu haben. Es war ganz
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