Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
offensichtlich der falsche Zeitpunkt.
»Nein, Sie müssen sich verwählt haben. Hier ist nicht die Bausparkasse.«
»Tut mir leid. Ich hatte … Sehnsucht … Ich dachte, wir könnten uns vielleicht nach Dienstschluss …«
»Nein!«, zischte sie. »Ich heiße auch nicht Wüstenrot!«
Rupert stellte sich vor, dass ihr Mann neben ihr stand und jedes Wort mithörte. Er schwieg und drückte das Gespräch einfach weg. Dann erst hauchte er ein »Entschuldigung«.
Während der weiteren Fahrt hörte Rupert Shanties und sang laut mit.
»Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern …«
Er hatte sich beim Norddeicher Shantychor beworben und wollte auf keinen Fall das Vorsingen verpatzen.
Es tat ihm gut, jetzt alleine Auto zu fahren. Ab in den wilden Süden Ostfrieslands, nach Rhauderfehn.
Rupert parkte direkt vor dem Haus, ging aber nicht rein, sondern spazierte zunächst am Rajenkanal entlang und dachte über sich und Frauke nach.
Er mochte diese weißen Klappbrücken. Sie erinnerten ihn an ein Bild von van Gogh. Van Gogh war der einzige Maler, den Rupert überhaupt ernst nahm. Im Gegensatz zu seiner Kollegin Ann Kathrin Klaasen interessierte er sich überhaupt nicht für Kunst.
Warum, verdammt nochmal, malt jemand etwas, wenn man es genauso gut fotografieren kann, dachte er sich.
Dieses Rhauderfehn war sehr holländisch. Er hatte Wollgras im Haar, wusste aber nicht, woher das kam. Das weiße Zeug flog hier herum wie anderswo Feinstaub oder Ruß.
Er musste Frauke wieder loswerden. Andererseits hatte er große Lust, ein paar Tage Urlaub mit ihr zu verbringen, aber er wusste, dass diese Frau ihm und seinem Ehegeflecht gefährlich werden konnte. Er wollte es nicht all seinen geschiedenen Kollegen nachmachen, die zwar freie, aber arme Männer waren.
Das Haus seiner Schwiegermutter reizte ihn sehr. Vielleicht würde die blöde Kuh ja bald an Arterienverfettung sterben, wenn sie weiterhin so viel Buttercremetorte aß.
Er war viel weiter gelaufen, als er sich vorgenommen hatte. Er drehte um und ging zum Zielgebäude zurück. Die Tür in dem roten Backsteinhaus war nicht verschlossen, aber Rupert klingelte trotzdem.
Hans Freytag hatte kräftige Wangenknochen, aber ein schmales Kinn, dadurch wirkte sein Gesicht oval. Seine viereckige Brille passte überhaupt nicht dazu.
Freytag hielt Rupert vermutlich für einen Kunden, auf jeden Fall verwechselte er ihn mit irgendjemandem, denn er duzte ihn gleich und ging voran.
»Komm einfach mit«, sagte er.
Rupert trottete durch einen langen, dunklen Flur, über einen abgeschabten Linoleumboden in einen Schuppen hinterm Haus, der von einer Kreissäge dominiert wurde. Es roch nach frischem Holz. Alles war von einer Schicht weißem Staub bedeckt. Die hohen Regale waren voll mit Brettern.
In der Ecke stand ein halb fertiggeschnitztes Schaukelpferd. Es sah für Rupert aus, als sei das Ganze aus einem Stück gefertigt, was ihm durchaus Respekt für die handwerkliche Leistung abverlangte. Aber gleichzeitig fragte er sich, woher, verdammt nochmal, jemand die Zeit für so etwas nahm.
»Also«, sagte Hans Freytag, »das läuft hier im Prinzip alles ganz locker. Du kannst dir eine Menge Freiheiten rausnehmen, solange du clean bleibst.« Er sah Rupert durchdringend an. »Absolut clean. Ist das klar? Ein Schluck Alk, und es ist vorbei. Dann kannst du gleich deine Klamotten packen und bist wieder draußen …«
»Ich glaube, Sie verwechseln mich, Herr Freytag.«
Freytag lachte. »Nee, tu ich nicht. Mir kannst du nichts vormachen. Ich habe ein paar hundert trockene Alkoholiker kennen gelernt. Und du bist einer von ihnen, sonst will ich Susi heißen.«
»Na, dann pass mal auf, Susi. Du darfst Herr Hauptkommissar zu mir sagen, Schatzi. Ich komm nämlich nicht von den Anonymen Alkoholikern, sondern von der Kripo. Wir sind so’n ähnlicher Verein, nur etwas straffer organisiert. Und ab jetzt stell ich hier die Fragen.«
»Darf ich mal Ihren Ausweis sehen?«
»Hab ich was ausgefressen?«
»Das haben die Susis dieser Welt doch immer, oder nicht?«
»Das ist vorbei, Her Kommissar. Ich habe meine Strafen abgesessen, meine Therapien hinter mir und …«
Rupert verzog spöttisch den Mund. »Klar. Und jetzt leiten Sie hier ein Mädchenpensionat, oder was?«
»Darf ich Ihre Frage so verstehen, Herr Kommissar, dass Sie sich dafür interessieren, was mich hierhin verschlagen hat? Nun, dies ist genau der richtige Platz für mich. Wussten Sie, Herr Kommissar, dass Rhauderfehn so groß
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