Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Jetzt verstand er: Sie tat das genau deswegen. Sie verunsicherte damit ihr Gegenüber, lenkte vom Eigentlichen ab und legte fest, wer hier der Chef im Ring war.
Er fühlte sich durchtrieben, weil er das Spiel der Frau Hauptkommissarin inzwischen durchschaut hatte. Er würde auf solche billigen Tricks nicht mehr hereinfallen. Er doch nicht.
Als er am Tatort ankam, diskutierten dort zwar noch Passanten über den unglaublichen Vorfall, aber von den Beteiligten war keiner mehr da.
Ann Kathrin führte in der Polizeiinspektion am Markt ein Gespräch mit Lucy Müller. Die Mutter, Gundula Müller, wurde in der Ubbo-Emmius-Klinik behandelt. Bei ihr war Sylvia Hoppe.
Weller und Ubbo Heide ließen sich derweil vom Vater der Zwillinge, Thomas Schacht, beschimpfen.
»Das ist also alles unsere Schuld?«, fragte Ubbo Heide vorsichtshalber noch einmal nach. Er deutete Weller an, er solle ruhig bleiben. Ubbo Heide war den Umgang mit Spinnern gewöhnt und fand, das gehöre eben zum Polizeialltag.
»Da draußen«, schrie der aufgebrachte Mann, »da tobt ein Krieg! Und Sie? Sie unternehmen nichts dagegen!«
»Ich verstehe Ihre Aufregung, aber wir können nicht neben jeden Kinderwagen einen Polizisten stellen.«
Weller hätte fast die Bemerkung gemacht, man lasse Kinderwagen mit Babys auch nicht unbeaufsichtigt auf der Straße, aber er wollte kein Benzin ins Feuer gießen.
»Der tut alles, um uns fertig zu machen. Der will uns den Urlaub versauen und einen Keil zwischen uns treiben!«, schimpfte Thomas Schacht.
»Sie kennen den Täter also?«
»Ja, klar. Lucy deckt ihn auch noch. Die ist sein U-Boot.«
»U-Boot?«
»Ja. Seine Agentin. Die hasst mich doch genauso wie er und lässt sich von ihm aufhetzen und instrumentalisieren.«
Ubbo Heide musste aufstoßen. Er hatte Magenkrämpfe. »Wer ist er ?«
Thomas Schacht guckte feindselig. »Mir wäre lieber, wenn Lucy es Ihnen sagt. Das ist der Ex meiner Frau. Der stalkt uns. Jahrelang hat er sich nicht gekümmert, aber kaum hat Gundula einen anderen, dreht er durch. Ständig diese Anrufe. Mitten in der Nacht, und dann sagt der Arsch nichts – also, zumindest nicht, wenn ich dranging. Die Lucy hat er vollgesülzt ohne Ende. Sie könnten wieder eine Familie werden, und sie würden doch zusammen gehören.«
Thomas Schacht ballte die rechte Faust, bis die Knöchel weiß wurden.
»Ich krieg schon das Flackern in der Pfote, wenn ich nur dran denke.«
»Und was will der mit Ihrer Tochter? Es ist doch Ihre Tochter, oder …«, wollte Weller wissen.
»Oder was?«, blaffte Schacht.
»Naja, vielleicht hatte Ihre Frau ja noch einmal etwas mit ihrem Ex, und er denkt jetzt, das seien seine Zwillinge. Vielleicht hat er das Kind entführt, um einen Gentest machen zu lassen oder so?«
Ubbo Heide gefiel die Entwicklung des Gesprächs gar nicht. Er wusste, dass Weller jetzt viel zu nah an seiner eigenen Geschichte war. Eine seiner Töchter war gar nicht von ihm, und er hatte jahrelang keine Ahnung gehabt.
Thomas Schacht blähte sich auf und bleckte die Zähne. »Wollen Sie damit etwas sagen, dass …«
»Ich stelle nur Fragen. Versuche, die Sache zu verstehen. Eine Logik reinzubringen. Mehr nicht.«
Ubbo Heide griff ein und deutete Weller an, er solle sich ein bisschen zurückhalten.
»Sie glauben also nicht, dass es irgendein Spinner war, sondern …«
»Oh, und ob der ein Spinner ist, und was für einer!«
Thomas Schacht schlug sich selbst zweimal mit der flachen Hand gegen die Stirn, dass es laut klatschte und ein roter Fleck zurückblieb. »Wie heißt er?«
»Wolfgang Müller aus Gelsenkirchen. Schalke-Fan. Muss doch bekloppt sein.«
Ubbo Heide fragte: »Fährt denn Ihrer Meinung nach dieser Wolfgang Müller jetzt mit dem Kind zurück nach Gelsenkirchen, oder nimmt der sich hier in Ostfriesland ein Zimmer, oder was glauben Sie?«
»Der wird die Tina spätestens morgen früh irgendwo abliefern. Dann wird sie ihm genauso lästig, wie ihm die Lucy lästig geworden ist. Weil sie schreit, Hunger hat, die Windeln gewechselt werden müssen …« Er winkte ab. »Ach!«
Er hatte keine Lust, die Aufzählung weiterzuführen.
»Dann wäre ja spätestens morgen alles wieder gut, und die Aufregung hätte ein Ende«, sagte Weller und glaubte, damit beruhigend auf Schacht einzuwirken. Der drehte aber stattdessen jetzt erst richtig auf.
»Oh nein, Herr Kommissar, keineswegs. Es gibt dann nur zwei Möglichkeiten.« Er zeigte mit den Fingern ein Victory-Zeichen. »Entweder, Sie ziehen den
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