Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
und zeichnete nichts auf. Sie hatte Angst, der geringste Versuch, etwas festzuhalten, würde die Frau völlig zum Schweigen bringen.
»Die beiden sind nicht von ihm. Eine Mutter spürt so etwas. Glauben Sie mir. Ich weiß es genau. Es sind Thomas’ Kinder.«
»Da war also etwas«, folgerte Sylvia Hoppe aus der Antwort.
»Wenn Thomas das erfährt, ist alles vorbei. Bitte, das wäre das Schlimmste, das ich mir in meinem Leben vorstellen könnte. Ich habe nochmal einen neuen Anfang gewagt. Ich habe diese beiden süßen Kinder mit ihm …« Ein Tränenschwall schoss aus ihr heraus. »Ich war so lange so verdammt allein!«
»Wollte Ihr Ex einen DNA-Test?«
»Ja. Wolfgang hat darauf bestanden, aber ich habe das verweigert.«
»Und Ihr Thomas weiß natürlich nichts davon.«
»Natürlich nicht.«
»Von mir muss er es auch nicht erfahren. Aber ich glaube, Sie haben einiges mit ihm zu klären. Wenn wir das Kind bei Ihrem geschiedenen Mann finden, dann wird er sich zu rechtfertigen haben. Ich würde Ihnen gerne etwas anderes sagen, aber nach all meiner Lebenserfahrung wird hier in nächster Zukunft viel schmutzige Wäsche gewaschen. Ich würde es an Ihrer Stelle selbst anfassen und Thomas Schacht reinen Wein einschenken …«
Gundula Müller jammerte: »Ich hab das nicht verdient. Ich hab das einfach nicht verdient. Ich bin nur noch mal mit ihm ins Bett gegangen. Ich dachte, so ein letztes Mal aus alter Erinnerung und damit er mich endlich in Ruhe lässt.«
»Glauben Sie, das war eine gute Idee? Haben Sie früher auch manchmal aus Mitleid mit ihm geschlafen oder nur, damit er Sie endlich in Ruhe lässt?«
Der Gesichtsausdruck von Gundula Müller veränderte sich, wie bei einer Schauspielerin, die in eine andere Rolle schlüpft, gerade eben noch das Hausmädchen gespielt hat und jetzt die Gräfin auf die Bühne zu bringen hat.
»Haben Sie so etwas nie getan?«, fragte sie. »Es gibt viele Gründe, warum eine Frau mit einem Mann ins Bett geht. Die beiden von Ihnen genannten gehören auch dazu.«
Sie nickte selbstbestätigend und legte ihr Kind in die Mitte des Bettes. Dann baute sie aus Kissen und der Bettdecke eine sichere Burg um Ina, sodass sie nicht herunterfallen konnte, und ging über den frisch gewischten Boden zur Toilette. Ihre Füße hinterließen feuchte Abdrücke.
Sylvia Hoppe hörte, dass Frau Müller sich im Badezimmer wusch und anzog.
»Was haben Sie vor?«
»Ich werde jetzt zu Thomas gehen. Was denn sonst?«
Sie hatte es geschafft, in Windeseile in ihre Sachen zu kommen und stand schon wieder im Raum.
»Wäre es nicht besser, Sie würden eine Nacht hier im Krankenhaus verbringen?«
»Nein, ich habe mein Leben neu zu sortieren. Das ist wichtiger.«
»Glauben Sie«, fragte Sylvia Hoppe und fühlte sich gar nicht wohl dabei, »dass Ihre Tochter Lucy mit ihrem Vater unter einer Decke steckt?«
Gundula Müller, die gerade noch trost- und hilfsbedürftige verheulte Frau, wechselte schon wieder die Rolle. Sie musterte Sylvia Hoppe, als würde vor ihr keine Polizistin auf dem Stuhl sitzen, sondern ein Haufen Abfall.
»Zutrauen würde ich es ihr! Sie ist wie ihr Vater. Manchmal erschreckt mich das«, zischte Frau Müller resigniert und nahm das Baby aus der Bettenburg, so als müsse sie verhindern, dass es genauso missraten würde wie Lucy.
Während Ann Kathrin Lucy zuhörte und ihr das Drama des Kindes, das sich ungeliebt, ja, abgelehnt fühlte, bewusst wurde, schweiften ihre Gedanken ab, hin zu der ausgestopften Moorleiche.
Sie kannte das. Es nutzte nichts, sich die ganze Zeit das Gehirn zu zermartern, auf der Suche nach einer Lösung. Im freien Fluss der Gedanken, in der lockeren Assoziation, lag oftmals die Erklärung.
Wenn sie in einem Fall festsaßen, begann Rupert, Akten zu fressen und Fakten zu vergleichen, Ubbo Heide aß dann Marzipan von ten Cate, Weller zweifelte an seinen Fähigkeiten als Kriminalbeamter, und sie ging an den Deich, um sich die Haare vom Wind kämmen zu lassen. Manchmal reichte schon ein kleiner Spaziergang, ein Blick aufs Wattenmeer, und gerade noch widersprüchliche, nicht zusammenpassende Teile ergänzten sich zu einem großen Ganzen, ergaben ein logisches Bild.
Aber genau das fehlte ihr im Augenblick. Woher sollte sie die Zeit nehmen, um bei einem Spaziergang auf dem Deich die Dinge sacken zu lassen? Sie musste zurück ins Haus ihrer Mutter, um die Möbel zu packen. In der neuen AWO-Wohnung musste sie die Bilder ihrer Mutter irgendwie unterbringen. Diese
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