Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
genau?«
»An der Wolga. Eine Weile hieß die Stadt Gorki, nach dem Schriftsteller Maxim Gorki, der hat …«
»Ich kenne Gorki, Ann. Ich habe ein Vollabitur. Ich habe ›Die Mutter‹ gelesen und sein Stück ›Nachtasyl‹ gesehen. Mich hat immer sein Lebenslauf fasziniert: Lumpensammler, Vogelhändler, Nachtwächter und – ach … Nie an einer Uni gewesen und am Ende wurden Theater und Universitäten nach ihm benannt.«
»Naja, jedenfalls heißt die Stadt wieder Nischni Nowgorod.«
Ann Kathrin wusste Ubbo Heide als gebildeten und klugen Gesprächspartner zu schätzen, aber manchmal war sein Wissen ihm auch im Weg, fand sie. Sie waren sich so ähnlich wie Vater und Tochter.
»Ich fürchte, Ann, ich kann deiner Dienstreise – so wertvoll die möglichen Ergebnisse auch für uns sein könnten – nicht zustimmen. Wir müssen wohl mit dem Wissen vorlieb nehmen, das unsere mitteleuropäischen Fachbücher hergeben.«
Sie massierte sich mit kleinen, kreisenden Bewegungen die Schläfen.
Er vermutete, dass es eine unbewusste Handlung war. »Du machst dir zu viel Kopfzerbrechen, Ann. Du musst nicht alle Probleme alleine lösen. Wir sind ein Team. Jeder hat Verständnis dafür, wenn du dich jetzt erst um deine Mutter …«
Sie fühlte sich sofort angegriffen. »Ich bin nicht überfordert!«
»Was treibt dich dann so sehr um? Diese Tote aus dem Moor, das ist schrecklich, aber eben auch lange her. Ein Fall ohne Zeitdruck. Wir machen das ganz in Ruhe und mit der gebührenden Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit …«
Sie unterbrach ihn. »Mach dir nichts vor, Ubbo. Wir stehen unter Zeitdruck. Ich will keine Fehler machen … Es steht viel auf dem Spiel. …«
»Weißt du etwas, das ich nicht weiß?«
Sie wischte sich übers Gesicht und putzte sich dann die Hände an den Hosenbeinen ab, als seien sie nass geworden. So kannte er sie gar nicht.
»Ann, raus mit der Sprache!«
Es fiel ihr schwer, den Gedanken auszuformulieren. Sie sprach leise. »Jule Freytag hatte eine Zwillingsschwester …«
Sie verschluckte den Rest des Satzes. Es war, als würde sie die Worte kauen.
»Ja«, ergänzte Ubbo Heide. »Wir haben sie noch nicht gefunden und wissen nicht einmal, ob sie noch lebt.«
Ann Kathrin wirkte fast dankbar, weil er ihr die Aussage erspart hatte. Sie holte tief Luft. »Und vor der Schwanen-Apotheke in Norden wurde Tina Müller entführt … auch ein Zwilling, und auch ein Mädchen.«
Ubbo Heide zuckte zusammen. Alles in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken. Er schüttelte den Kopf schon, bevor er sprach: »Du vermutest da einen Zusammenhang?«
Sie räusperte sich und wusste nicht wohin mit ihren Händen. »Du nicht?«, fragte sie zurück.
»Das ist … ein Zufall …«
Sie erhob sich. »Ja. Hoffentlich.«
Bevor sie den Raum verließ, fragte er: »Was hast du jetzt vor, Ann?«
Sie sah aus, als hätte sie ein wenig resigniert. »Das entführte Kind finden und jeden einkassieren, der Kinder ausstopft …«
Sie ging und ließ Ubbo Heide nachdenklich zurück.
Er hatte seine Schuhe noch nicht wieder angezogen, als er nacheinander drei Anrufe bekam. Dr. Ollenhauers Anwalt protestierte, und der Stellvertreter des Innenministers verlangte unverzüglich aufgeklärt zu werden. Ein Landtagsabgeordneter fragte nach, was es mit der Hausdurchsuchung bei Dr. Ollenhauer auf sich hätte.
»Wir kennen uns nicht«, sagte Ubbo Heide tapfer. »Ich weiß nicht einmal, für welche Partei Sie im Landtag sitzen. Ich weiß nur, dass es Sie einen verdammten Dreck angeht, wann und bei wem wir auf richterliche Anordnung eine Durchsuchung durchführen. Wenn Sie sachdienliche Hinweise für uns haben, bin ich jederzeit für Sie zu sprechen.«
Der Mensch am anderen Ende der Leitung war es wohl nicht gewöhnt, dass jemand so mit ihm sprach. Ihm fehlten die Worte. Das gefiel Ubbo Heide. Er schlüpfte wieder in die zu engen Schuhe und war stolz auf sich.
Es war zweifellos ein wichtiger Charakterzug von ihm, dass er sich mit breiter Brust vor seine Mitarbeiter stellte, wenn sie attackiert wurden, und sie gleichzeitig intern immer um Mäßigung bat.
Rupert betrat den Raum.
»Ihre Kommissarin überzieht hier aber ganz gewaltig. Die Frau Klaasen hat wohl keine Ahnung, was sie tut … Ich würde an Ihrer Stelle …«
»Sie sind aber erstens nicht an meiner Stelle, und zweitens ist Frau Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen nicht irgendwer, sondern …«, er suchte das treffende Wort, »eine Galionsfigur der
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