Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
ostfriesischen Polizei.«
Ubbo Heide winkte Rupert ab. »Jetzt nicht.«
Rupert zog sich zurück. Er grinste. Im Flur traf er Sylvia Hoppe.
»Was grinst du so?«
»Ubbo hat gesagt, Ann Kathrin sei eine Galionsfigur der ostfriesischen Polizei.«
Sylvia nickte. »Ja, das stimmt doch irgendwie auch …«
Rupert trumpfte auf: »Na, an einem Schiff ist doch nichts so überflüssig wie die Galionsfigur!«
In diesem Moment trat Ubbo Heide aus seinem Büro. Seine Frisur sah aus wie ein aufgeplatztes Kuscheltier.
Er winkte Rupert zu sich. »Was ist denn, Rupert?«
Rupert zog sich die tief auf die Hüftknochen gerutschte Jeans hoch und stolzierte auf seinen Chef zu wie Napoleon, der die Parade der siegreichen Truppen abschritt.
»Die Hunde haben das Skelett gefunden.«
Das war allerdings eine Information, die neues Licht auf den Fall warf.
Rupert genoss Ubbo Heides Erstaunen. »Es handelt sich offensichtlich um den Brustkorb. Wenn ich die Kollegen richtig verstanden habe, nicht nur um einen. Es gibt da wohl so eine Art Massengrab im Garten des feinen Dr. Ollenhauer. Ganz nah bei der Feuerstelle hinter der Sauna. Er scheint da auch Leichenteile verbrannt zu haben.«
Sylvia Hoppe drückte sich mit dem Rücken gegen die Flurwand. Sie stellte sich das gerade alles bildlich vor. Ihr wurde schwindelig.
»Und jetzt?«, fragte sie.
»Jetzt reiße ich dem ehrenwerten Herrn Doktor höchstpersönlich den Arsch auf!«
»Nein«, sagte Ubbo Heide scharf. »Das wirst du nicht tun.«
Rupert und Sylvia Hoppe sahen ihn fragend an.
»Stattdessen wirst du ihn im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zur Sache vernehmen, nachdem du ihn gemäß Paragraph 136 StPO über seine Rechte als Beschuldigter belehrt hast.«
»Ja, meine ich ja«, sagte Rupert.
Ubbo Heide hob den Zeigefinger. »Und auch das wirst du nicht tun, sondern …«
»Schon klar«, resignierte Rupert, »unsere Galionsfigur.«
Ubbo Heide nickte und suchte in seinen Taschen nach Marzipan. Er hatte jetzt einen irren Hunger darauf. Ein Seehund von ten Cate wäre ihm jetzt ein Diebstahlsdelikt wert gewesen. Ein großer Marzipanleuchtturm eine solide Körperverletzung.
Rupert ging mit Sylvia Hoppe zu seinem Büro zurück. »Und unsere tolle Kommissarin wird ihm bestimmt auch im verdammten Rahmen unserer laschen Gesetze die Gelegenheit geben, alle Verdachtsgründe auszuräumen und allen zu seinen Gunsten sprechenden Blödsinn als Tatsache geltend zu machen …«, maulte Rupert.
Sylvia Hoppe gefiel es, wie Ubbo Heide Rupert zurechtstutzte. Er tat es auf eine sachliche, aber doch ironische Art, halt typisch Ubbo.
Rupert schritt jetzt energisch aus, als müsse er allen beweisen, was für ein Tatmensch er war. Hinter seinem Rücken zeigte Sylvia Hoppe ihm den Stinkefinger.
Ubbo Heide bekam das mit, grinste zwar, schüttelte aber dann kaum merklich den Kopf. Ihre Geste sprach ihm zwar aus der Seele, aber das konnte er ihr schlecht zeigen. Er empfand es als seine Aufgabe, aus all diesen verschiedenen Menschen ein Team zu formen, ohne sie alle gleichzuschalten oder über einen Kamm zu scheren.
Es tat ihr gut, in Norden über den Markt zu gehen und bei Luth Bratheringe zu kaufen. »Gestern noch in kühlen Fluten, heute schon bei Luth in Tuten.«
Da drüben waren die Polizeiinspektion, die VHS, die Stadtbibliothek und die Schwanen-Apotheke, vor der sie das Kind aus dem Kinderwagen an sich genommen hatte.
Niemand erkannte sie. Niemand schrie: »Haltet die Entführerin!«
Alles war wie immer. Ganz normaler Alltag.
Sie trug die Perücke nicht. Sie hatte nicht vor, sich zu verwandeln. Sie war wieder eine von ihnen.
Das Baby trank nicht aus ihrer Brust. Sie hatte so sehr gehofft, durch das Saugen an den Nippeln würde Milch einschießen. Aber diese Tina war zu ungeduldig, gab gleich auf und machte ein Riesentheater.
Überhaupt, schon allein der Name! Wie konnte man ein Kind nur so nennen? Wie dumm und geschmacklos musste diese Gundula Müller sein?
Sie würde der Kleinen einen neuen Namen geben. Einen, der besser zu ihr passte …
Sie wollte rübergehen zu Götz in den EDEKA-Markt und dort Babynahrung kaufen. Aber dann war es, als würde ihre Wirbelsäule glühen. Nein, das war keine gute Idee. Sie konnte ihrer Wirbelsäule trauen. Darin war mehr Weisheit gespeichert als in jedem Lexikon. Wie oft hatten Rückenschmerzen ihr gesagt, dass etwas mit ihrer Lebenssituation nicht stimmte? Ihr Rücken wusste es, während der Verstand sich noch weigerte und alles beschönigte.
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