Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Wenn der Rücken schmerzte, musste sie etwas verändern, sonst wurde es immer schlimmer.
Der Rücken zwang sie, umzukehren und über sich selbst nachzudenken. Wenn die Wirbelsäule glühte, so wie jetzt, dann war sie kurz davor, sich durch einen dummen Fehler in Gefahr zu begeben. Einmal, als sie auf der Autobahn fast zum Geisterfahrer geworden wäre, hatte die heiße Wirbelsäule sie gewarnt, noch bevor ihr das erste Auto entgegenkam.
Auch diesmal war ihr Verstand wieder langsamer als ihr Körper. Er kam erst jetzt mit einer Erklärung hinterher: Du hast schon oft bei Götz eingekauft. Vielleicht erinnert sich eine Kassiererin an dich und fragt sich, warum du plötzlich Babynahrung holst. Oder vielleicht lässt die Polizei alle Regale mit Babynahrung überwachen. Das ist mit Videokameras überhaupt kein Problem. Wer Babykost kaufte, konnte sich rasch verdächtig machen, dachte sie. Götz lag einfach zu nah am Tatort. Sie musste an einen Ort, an dem sie nicht auffiel, weiter weg vom Tatgeschehen. Am besten mitten ins Touristengewühl.
Sie entschied sich, mit der nächsten Fähre nach Norderney zu fahren und sich dort einzudecken. Doch als sie in Norddeich Mole keinen Parkplatz bekam, erschien es ihr plötzlich völlig wahnsinnig, für ein paar Gläschen Brei und ein bisschen Milchpulver nach Norderney und wieder zurück zu fahren. Hatte man den Kindern nicht früher auch einfach Kuhmilch gegeben?
Sie fuhr über die Norddeicher Straße zurück. Bei MacDonald’s bog sie ab und stellte ihren Wagen auf dem Combi-Parkplatz ab. Sie nahm sich einen Einkaufswagen, wurde aber das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
Sie legte eine Ananas in ihren Wagen und wog ein paar Äpfel ab. Es gab hier auch genug Babynahrung, aber sie mied sogar den Gang. Zwischen den Regalen wollte sie gar nicht erst gesehen werden.
War das oben an der Decke ein Rauchmelder oder eine Kamera? Es gab heutzutage winzige Kameras, die konnten sogar in den menschlichen Körper eingeführt werden, in den Darm, oder durch die Venen bis ins Herz. Man konnte sich nie sicher sein, ob man beobachtet wurde oder nicht.
Dann hatte sie eine Idee, die sofort alle Rückenschmerzen verschwinden ließ. Sie fühlte sich entspannt, überlegen und unbesiegbar. Sie würde so einkaufen, als ob sie vorhätte, etwas mit Milch zu kochen. Genau! Alles musste zueinander passen. Vielleicht überprüfte die Kripo ja die Einkaufszettel im Combi und zog daraus Rückschlüsse.
Sie würde Dampfnudeln mit Vanillesauce zubereiten, oder besser, sie würde so tun, als ginge es um Dampfnudeln mit Vanillesauce.
Sie holte also zunächst Mehl. Dann Hefewürfel. Zucker. Zwei Päckchen Vanillepuddingpulver und dann zwei Liter Vollmilch. Das würde niemandem auffallen. Sie war eben schlauer als die Polizei und all die dummen, abgestumpften Menschen mit ihren Insektengehirnen.
Sie lachte. Stolz stellte sie sich mit ihrem Wagen an der Kasse in die Schlange. Es dauerte nicht lange, und sie war dran. Der letzte Kunde vor ihr hatte nur eine Flasche Jägermeister und zwei Päckchen Marlboro zu bezahlen.
Wie viel so ein Einkaufskorb doch über einen aussagt, dachte sie. Frauen an den Kassen mussten eine Menge über die Kunden wissen, wenn sie genau hinsahen und richtig kombinierten.
Vielleicht war gerade die hier mit der kessen Gaby-Köster-Frisur eine Hobbydetektivin, die sich in den Kopf gesetzt hatte, durch genaue Kundenbeobachtung die Entführerin zu finden.
»Hm«, sagte sie mit einem Schmatzen. »Ich kann es kaum abwarten. Endlich mal Dampfnudeln mit Vanillesauce.«
Die Kassiererin zog die Waren über den Scanner und lachte: »Meine Großmutter kommt aus Süddeutschland. Bei uns gab es die immer mit einer Pflaumenmusfüllung.«
Gleich mischte sich die Dame ein, die hinter ihr aus ihrem Einkaufswagen Tiefkühlpizzen aufs Band lud.
»Man macht das ja viel zu selten. Bei uns hießen sie Germknödel oder Dampferl. Meine Mutter hat immer rohe Kartoffelscheiben auf den Pfannenboden gelegt und die angebraten, so bekamen die Germknödel eine kleine Kruste. Die mochte ich als Kind besonders gern.«
Sie freute sich. Sie war eine von ihnen. Sie hielt an der Kasse ein kleines Schwätzchen. Niemand würde sie jemals verdächtigen.
»Ich esse sie am liebsten mit Vanillesauce«, sagte sie.
Sie sah die Tragetasche mit der Bünting-Tee-Werbung darauf. Viele alte Teepackungen waren darauf abgebildet. Ein warmes Gefühl ergriff sie. Sie musste diese Tragetasche einfach kaufen.
Die Kassiererin
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