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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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zunächst am Telefon verspottet und dann hingerichtet. Für seinen Magen war das gar nicht gut. Er griff zum nächsten Marzipan-Seehund von ten Cate. Er hatte noch drei in Reserve und einen Leuchtturm. In so einer Situation brauchte er etwas magenfreundliches Süßes.
    Angeblich hatte Ann Kathrin, um die Tat zu vertuschen, Stengers Büro angezündet. Die Bilder, die Ubbo Heide übermittelt wurden, zeigten eindeutig Ann Kathrin Klaasen in neuem Outfit mit einer großen Einkaufstüte.
    Ubbo Heide bat die Kollegen, die Verhaftung selbst vornehmen zu dürfen. Er hatte trotz allem noch die Hoffnung, nicht jeden Einfluss auf Ann Kathrin verloren zu haben. Sie würde
garantiert nicht auf ihn oder einen ihrer Kollegen schießen, sondern sich widerstandslos ergeben.
    Er war schon lange nicht mehr so sehr auf den Widerstand einer anderen Dienststelle gestoßen. Der Kollege Dengtasch sprach für einen Hessen viel zu grammatikalisch sauberes, akzentfreies Deutsch. Ubbo Heide vermutete, dass Dengtasch türkischer Herkunft war. Vermutlich die zweite Gastarbeitergeneration, hier aufgewachsen und durch einen Spießrutenlauf zum Abitur gekommen. Er schätzte den Kollegen auf Anfang fünfzig. Er bat höflich um Unterstützung von Beamten, die Ann Kathrin Klaasen und ihre Gewohnheiten kannten, die Verhaftung würden aber er und seine Truppe auf jeden Fall selbst durchführen.
    Er sagte tatsächlich »meine Truppe« und damit löste er bei Ubbo Heide die beklemmende Befürchtung aus, alles könne in einer Schießerei im Hauptbahnhof enden. Ihm war zum Heulen zumute. So wie die Dinge lagen, konnte selbst der gerissenste Anwalt kaum noch etwas für sie tun. Wie immer, wenn er es mit schweren Straftaten zu tun hatte, rechnete er bereits das Urteil aus. Im Fall Stenger musste sie sicherlich nicht mit einer Mordanklage rechnen. Als Mörder galt nur, wer »aus Mordlust, Habgier, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder anderen niedrigen Beweggründen« tötete. »Heimtückisch« oder »besonders grausam« würde auch keiner die Tat nennen.
    Ann Kathrin kannte die Definition des Gesetzgebers so gut wie er. Sie hatte sich bestimmt ausgerechnet, für einfachen Totschlag verurteilt zu werden, das bedeutete im günstigsten Fall fünf Jahre Haft. Aber diese zweite Person, die sie erschossen hatte, machte alles schwieriger. Wie konnte sie nur so dumm sein? Das bedeutete vielleicht fünfzehn Jahre, wenn nicht lebenslänglich. Etwas war aus dem Ruder gelaufen. Das hatte sie niemals so geplant.
    Ubbo Heide biss in einen Marzipan-Seehund und schämte
sich plötzlich für seine Gedanken, denn für ihn war ihre Schuld offensichtlich schon klar. Wie sollte er Weller das alles erklären? Es war seine Aufgabe, es ihm zu sagen.
     
    In Mainz kaufte Ann Kathrin sich einen frisch gepressten Orangensaft, damit schlenderte sie in die Buchhandlung. Aber bevor sie den Kinderbuchtisch erreichte, musste sie an den Tageszeitungen vorbei. Der Wiesbadener Kurier ließ sie stoppen. Noch ahnte sie nicht, dass der Doppelmord irgendetwas mit ihr zu tun hatte. Aber sie war lange genug in der Mordkommission, um auf bestimmte Signale zu reagieren. Sie kaufte den Kurier und noch während sie den sauber recherchierten Bericht las, wurde ihr heiß, als hätte sie sich gerade einen schlimmen Virus eingefangen. In der Aufregung ließ sie den Saft im Becher mit Strohhalm an der Kasse stehen.
    Die Kassiererin rief hinter Ann Kathrin her: »Frollein! Sie haben etwas vergessen!«
    Ann Kathrin ließ sich nicht gern mit Frollein anreden, aber das war jetzt ganz gleichgültig. Sie las sich im Bericht fest. Die Bezeichnung »Partnervermittlungsinstitut mit fragwürdigem Ruf« sagte ihr alles. Jemand hatte Stenger getötet. Da wurde einer nervös und knipste alle Leute aus, die ihn verraten konnten. Sie war ganz nah dran! Ein Hochgefühl erfasste sie.
    Der Killer war ihr zu Beginn immer einen Schritt voraus, aber jetzt kam es ihr so vor, als würde er hinter ihr her hecheln. Es war ein mulmiges Gefühl, das sie plötzlich wieder frösteln ließ. Führte sie den Mörder zu den Opfern? Benutzte er sie als Jagdhund? Hatte sie ihn zu Frau Klocke geführt und zu Stenger? Woher wusste er, was sie tat? Sie sah sich um. Im Umkreis von zehn Metern befanden sich schätzungsweise fünfzig Personen.
    War er ihr so nah? Ließ er ihr Handy orten? Hatte er einen Detektiv auf sie angesetzt, der ihm berichtete? Der Typ da mit der Knackwurst, der sich gerade mit Senf bekleckerte, kam ihr
verdächtig vor.

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