Ostfriesensünde
dadrüben?«
»Eine Hausdurchsuchung.«
»Nein, Sie irren sich, junger Mann. Wir haben keine Geheimnisse. Hier muss nichts durchsucht werden. Ihre Leute sind da mit drei Polizeiwagen vorgefahren, damit alle Nachbarn sehen, was hier passiert. Wir sollen in Misskredit gebracht werden. Unsere Arbeit soll verunglimpft werden. Darum geht es.«
Sie reckte ihre Arme hoch und stellte sich auf die Zehenspitzen. »Bitte! Durchsuchen Sie mich!«
Weller ließ sich nicht provozieren. Er blieb betont sachlich. »Der richterliche Durchsuchungsbefehl gilt nicht für dieses Wohnhaus, sondern nur für die Räume des Vereins. Sie selbst
sind nicht betroffen. Und wenn Ihre Kleidung untersucht werden müsste, würde nicht ich das tun, sondern eine Kollegin. Ich habe ein paar Fragen an Sie. Sie müssen meine Fragen nicht beantworten. Sie können gerne einen Anwalt hinzuziehen. Ich kann Sie auch offiziell vorladen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Ihr strenges Gesicht bekam einen Hauch von Milde. Sie war einen halben Kopf größer als Weller, aber sehr hager. Ihr Gesicht hatte etwas Vogelartiges.
Weller schätzte sie auf Anfang sechzig. Er konnte sich vorstellen, dass sie früher einmal eine attraktive Frau gewesen war, aber sie tat jetzt alles, um das zu verleugnen.
Der Zug um ihren Mund war hart, die Lippen schmal. Sie benutzte keinerlei Kosmetik. Im rechten Mundwinkel, am Hals und am rechten Ohr war ihre Haut ausgetrocknet und schuppte sich. Ihre schwarzen Haare waren frisch gewaschen und streng nach hinten gekämmt. Eine Hornspange hielt sie zusammen.
Trotz der sommerlichen Temperaturen trug sie einen selbst gestrickten Pullover mit gelbbraunem Muster. Er sah aus wie ein gestricktes Kirchenfenster.
Sie bot Weller Platz an, blieb selbst aber stehen. Sie drehte ihm den Rücken zu und begann Salatblätter abzuzupfen und zu waschen. Danach tupfte sie jedes einzeln trocken.
»Sie und Ihre Organisation bekämpfen Dr.Gaiser und seine Arztpraxis seit geraumer Zeit. Halten Sie es für möglich, dass ein Mitglied Ihres Vereins etwas mit der Entführung zu tun hat?«
»Arztpraxis!«, wiederholte sie angewidert. »In einer Arztpraxis soll Menschen geholfen werden. Dr.Gaiser bringt sie um.«
»Nach unseren Überprüfungen findet alles dort im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen statt.«
»Mord ist es trotzdem! Da beißt die Maus keinen Faden ab.«
»Und glauben Sie, dass ein Vereinsmitglied gerade versucht, die Dinge auf die eigene Art in die Hand zu nehmen?«
Sie sah beim Salatputzen aus dem Küchenfenster. »Ihre Kollegen tragen Akten und Karteikästen aus dem Vereinshaus.«
»Ja, das ist ihre Aufgabe. Ihr Mann bekommt ja für alles eine Quittung und sobald die Dinge ausgewertet sind, bringen wir Ihnen alles zurück. Wir sind keine Diebe.«
»Haben Sie die Akten von Dr.Gaiser auch beschlagnahmt?«
»Das geht Sie nichts an. Bitte beantworten Sie meine Frage.«
Sie drehte sich um und sah Weller durchdringend an. »Sie stehen auf der falschen Seite, Herr Kommissar. Ich spüre, dass Sie tief in sich drin ein guter Mensch sind. Kehren Sie um! Es ist noch nicht zu spät.«
»So, jetzt reicht es. Lassen Sie den Salat da mal in Ruhe und setzen Sie sich zu mir. Was wissen Sie über einen gewissen Herrn Henn?«
Sie tat, was Weller ihr befohlen hatte. Sein Ton beeindruckte sie. Sie trocknete ihre Hände an einem Spültuch ab und setzte sich zu ihm. Sie faltete die Hände wie zum Gebet und legte sie auf Weller gerichtet auf die Tischplatte. Es sah für ihn aus, als würden die Hände gar nicht zu ihr gehören, als könnte die Frau jeden Moment aufstehen und ihre Hände auf dem Tisch liegen lassen. Sie hatte etwas Körperloses an sich, als wäre sie nicht in sich drin, sondern als würde sie über sich schweben und diesen Körper wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden führen.
»Herr Henn ist ein Mitglied unserer Gemeinschaft. Ich teile sicherlich nicht alle seine Ansichten, er ist recht extrem, aber Herr Gaiser und seine Hexe hatten kein Recht, ihn so übel anzugreifen. Er wurde mit so einem Elektroschocker gequält!« Sie verzog das Gesicht. »Ich mag mir so etwas gar nicht vorstellen. Er leidet noch heute unter Angstzuständen.«
»Hat Herr Henn in Ihrem Beisein Drohungen gegen Herrn Gaiser ausgestoßen?«
»Nein, wir haben gemeinsam für ihn gebetet.«
»Gebetet? Ja, damit der Herr ihn auf den rechten Weg zurückführt oder was?«
»Wir müssen unseren Weg alleine gehen, und wir sind für alles, was wir tun,
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