Ostfriesensünde
verantwortlich.«
Rupert kam ohne anzuklopfen in die Küche und sagte: »Sie haben alle ein bombensicheres Alibi. Zur Tatzeit haben sie eine Versammlung abgehalten. Dreizehn Zeugen. Henn war dabei.«
Weller stand auf. »Na klasse.«
Er ging mit Rupert zu dem Polizeiwagen. Dort stand Huberkran und telefonierte.
»Die decken sich gegenseitig. Die Sache ist für mich sonnenklar. Ich brauche Verhörspezialisten. Wir müssen sie garkochen. Wir haben es mit einer Tätergruppe zu tun. Nein, nicht irgendwelche Psychopathen. Überzeugungstäter. Ich habe ein ganz mieses Gefühl bei der Sache, die kommen sich so verdammt überlegen vor, als hätten sie noch einen Trumpf in der Tasche. Ich traue denen alles zu. Die wollen ein Fanal setzen. Kann sein, die haben ihre Verhaftung längst einkalkuliert und bringen sich alle gleichzeitig zu einem verabredeten Zeitpunkt um, nur damit wir blöd dastehen und die Welt aufgerüttelt wird, wie damals diese Jim-Jones-Family oder wie die Spinner hießen. Ja. Im Busch … Natürlich sind wir nicht in Guyana, sondern in Ostfriesland, aber … Ja, was ist jetzt, bekommen wir die Unterstützung oder nicht?«
Sauer steckte Huberkran das Handy ein. Weller schätzte Huberkran so ein, dass die Sache begann, ihm über den Kopf zu wachsen.
»Ann kommt morgen zurück«, sagte Weller.
»Ja, sehr tröstlich!«, zischte Huberkran.
»Das mit dem Massenselbstmord solltest du in ihrer Gegenwart lieber nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Weil es keiner war.«
»Na hör mal, ich will das jetzt nicht diskutieren, aber damals wurden in Guyana mehr als neunhundert Tote gefunden, die sich mit Zyankali vergiftet hatten. Das Ganze ging als größter Selbstmord der Geschichte in die Kriminalstatistik ein.«
»Es waren neunhundertzwölf. Neunhundertzwölf Menschen. Und es ist falsch. Es war kein Massenselbstmord. Man vergisst gerne die zweihundertsechsundsiebzig getöteten Kinder. Die haben garantiert keinen Selbstmord begangen. Denen haben Erwachsene Gift eingeflößt. Ann sagt, es sei ein Skandal, dass dieses Verbrechen immer noch als Selbstmord dargestellt wird.«
»Ann sagt!?! Hast du keine eigene Meinung?«
»Doch. Ich denke, sie hat ganz einfach recht.«
»Ja toll! Und warum ist sie jetzt nicht hier?« Huberkran packte Weller und schüttelte ihn. Die Geschichte nahm ihn deutlich mit. »Jede Minute zählt, Frank! Diese Schweine haben irgendwo Judith Harmsen und Dr.Gaiser eingemauert. Wenn wir nicht bald bei ihnen sind, werden sie jämmerlich sterben!«
Herr Weeke rief: »Da kommt unser Anwalt! Packen Sie mal gleich unsere Akten wieder aus! Herr Dr.Siebert, das hier geschieht gegen meinen ausdrücklichen Willen!«
Huberkran ließ Weller los und schlug mit der Faust aufs Autodach. Zähneknirschend sagte er: »Halt mich fest, Frank, bevor ich mich unglücklich mache und die Wahrheit aus denen herausprügele! Halt mich fest!«
Weller tat es. Frau Weeke sah vom Küchenfenster aus zu.
Ann Kathrin stieg in Mainz um in den Zug nach Norden. Wie hätte sie ahnen sollen, dass die Fahndung nach ihr bereits angelaufen war. Ihr Anruf aus dem Schwarzen Bock bei Stenger war von der Telefongesellschaft registriert worden. Sie hatte das Gespräch ordnungsgemäß beim Auschecken bezahlt, und zwar mit ihrer EC -Karte der Sparkasse Aurich-Norden.
Beim Betreten der Boutique war sie von der Sicherheitskamera
fotografiert worden. Einmal am Eingang und noch einmal an der Kasse.
Das Gespräch mit Stenger, das sie telefonisch als erfolgreiche Unternehmerin Sylvia Jansen geführt hatte, kursierte inzwischen in Ostfriesland bei allen Kollegen, die Ann Kathrin kannten. Es war der Brüller auf Handys und PCs. Jeder Standup-Comedian wäre glücklich gewesen, so viele Lacher zu provozieren. Nur Weller selbst hatte es noch nicht gehört.
Rupert hatte das denkwürdige Gespräch in Wellers E-Mail-Fach gefunden, als er auf der Suche nach einer Adresse war. Er hatte gleich »an alle« angeklickt.
Am schlimmsten traf es Ubbo Heide. Er konnte gar nicht darüber lachen, sondern ahnte, welcher Ärger auf sie alle wartete, wenn Ann Kathrin so an die Sache heranging. Das Ganze hörte sich für ihn nach einem Rachefeldzug an.
Dann kam es noch viel schlimmer, als er befürchtet hatte. Die Wiesbadener Kollegen verdächtigten Ann Kathrin, Stenger und eine bisher unbekannte weibliche Person erschossen zu haben.
Für Ubbo Heide war das gar nicht abwegig. Wenn sie glaubte, den Mörder ihres Vaters gefunden zu haben, hatte sie ihn
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