Ostfriesensünde
Mund, als sei das nun wirklich nicht der Rede wert gewesen.
»Sie hatten die soziale Sicherheit eines Kripobeamten, konnten aber das Leben eines Ganoven führen. Nichts mit Dienstbeginn morgens um sechs … kein lästiges Protokolletippen … Sie haben die Puppen tanzen lassen, dabei ein Schweinegeld verdient und waren sogar noch pensionsberechtigt. Was haben Sie überhaupt mit dem ganzen Geld gemacht und was hat mein Vater damit angestellt?«
Er breitete die Arme weit aus und machte gestisch einen auf Welterklärer. Sie spürte deutlich, dass er sich in dieser Pose gefiel.
»Nun, wir führten ein nicht ganz billiges Leben. Jeder hatte mehrere Wohnungen. Mehrere Autos. Teure Reisen. Wir mussten auch ganz schön Schmiergelder zahlen. Vierzig-, fünfzig-, sechzigtausend im Monat. Das war ja kein Nettogehalt … «
»Wo ist der Rest geblieben?«
»Ach, ich verstehe. Sie wollen Ihren Anteil.«
»Nein, ich will einfach verstehen, was geschehen ist.«
Ann Kathrin überlegte fieberhaft. Sie musste ihn einfach nur hinhalten. Irgendwann würde hier die Polizei auftauchen, nachdem Käfers Leiche gefunden worden war. Beukelzoon sah nicht aus wie einer, der seine Opfer verbuddelte. Bei allen, von denen sie wusste, hatte er die Entsorgung der Leiche den offiziellen Behörden überlassen.
Je länger sie das Gespräch hier ausdehnen konnte, umso größer waren ihre Chancen, zu überleben.
Er war sportlich, durchtrainiert und stark. Sie geschwächt durch die lange Zeit in der Liebesschaukel, mit verspannten Muskeln und höllischen Rückenschmerzen. Aber mit jeder Minute wuchs ihre Einsatzfähigkeit. Sie hatte den grünen Gürtel im Judo. Für die Prüfung zum blauen hatte sie sich schon zweimal angemeldet, es aber terminlich nie geschafft.
Beukelzoon war ein Schwarzgurt. Er trug den ersten Dan. Trotzdem wollte sie es mit ihm aufnehmen und notfalls um ihr Leben kämpfen. Sie wusste jetzt, wo er das Wurfmesser aufbewahrte. Es war garantiert nicht seine einzige Waffe. An seinem linken Oberschenkel beulte sich in seiner Tasche etwas aus. Dort konnte sich eine Handfeuerwaffe befinden. Ann Kathrin wunderte sich allerdings, dass er sie so tief in der Tasche hatte. Sie herauszuziehen würde Zeit kosten.
»Wahrheit, Wahrheit!«, bölkte Beukelzoon und klatschte die Hände zusammen. »Herrjeh, was soll das bedeuten? Ist Wahrheit so viel wert? Ist es ein Wert an sich? War die Wahrheit es wert, so viele Menschenleben zu opfern, Frau Klaasen? Nur weil Sie herausfinden wollten, was Ihr Vater für ein Kerl war? All diese Wahrheitsfanatiker richten in der Welt größeren Schaden an als die gnädigen Lügner, die auch mal alle Fünfe gerade sein lassen können.«
»Was reden Sie da für einen Scheiß?! Mord ist kein Kinderstreich!
Bei Mord kann man nicht alle Fünfe gerade sein lassen.«
Er schwitzte und seine Bewegungen wurden fahriger. Etwas von seiner Selbstsicherheit ging verloren. Ann Kathrin hatte zum ersten Mal das Gefühl, sie könnte über Beukelzoon siegen.
»Sie sind wirklich wie Ihr Vater«, lachte er demonstrativ und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen. »Der wollte auch immer die Wahrheit wissen, koste es, was es wolle. Ich glaube nicht an die Wahrheit. Ich glaube an das hier.«
Er griff in seine Hosentasche und zog ein zusammengerolltes Geldbündel heraus. Es waren grüne und braune Euroscheine. Ann Kathrin schätzte, dass er vier- bis fünftausend Euro auf den Tisch warf.
»Das ist geprägte Freiheit.«
»Münzen prägt man«, stellte Ann Kathrin klar. »Das sind Scheine.«
Und wieder verzeichnete sie einen kleinen Punktsieg, der ihn zornig machte.
»Tragen Sie Ihr Geld immer so zuhältermäßig mit sich herum? Wollen Sie damit Frauen beeindrucken? Bei mir klappt das nicht. Ich kann mein Geld in aller Ruhe zur Sparkasse Aurich-Norden bringen, ich habe es nämlich ehrlich verdient und versteuert.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Ja, solche Predigten hat Ihr Vater mir auch gern gehalten.«
»Haben Sie ihn umgebracht?«
Beukelzoon beantwortete diese Frage nicht. Er sah an Ann Kathrin vorbei zum Buchregal, als würde er etwas suchen.
Ich schaffe es, ihn zu verunsichern, dachte sie. Ich schaffe es tatsächlich.
Sie setzte nach: »Warum dieser Überfall auf die Sparkasse in Gelsenkirchen? Hatten Sie nicht genug Geld?«
Er winkte ab und sah sie an, als hätte sie nichts begriffen.
»Geld?! Es ging bei dem Banküberfall nicht um Geld.«
»Warum überfällt denn sonst jemand eine Bank?«
Er stöhnte. »Setzen Sie
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