Ostfriesensünde
ein Dolch zum Vorschein. Beukelzoon hatte sich die Waffe mit zwei Lederriemen um die Wade gebunden.
Es war ein kurzer Dolch mit breiter Klinge und schmalem Stahlgriff. Ann Kathrin verstand sofort, dass sich diese Waffe blendend als Wurfmesser eignete. Es war gemacht worden, um damit zu töten.
Die Klinge hatte einen schwarzen Überzug, nur die rasierklingenscharfe Schneide strahlte silbern.
»Vorsicht, Frau Kommissarin«, sagte er höflich und durchtrennte den ersten Lederriemen.
Er stützte Ann Kathrin, so dass sie nicht herunterknallte. Dabei gab er sich Mühe, sie in keiner Weise unsittlich zu berühren, sondern ihr lediglich Hilfestellung anzubieten.
Sie wankte ins Bad, spülte sich den Mund aus, trank ein paar Schluck Leitungswasser und zog sich an.
Beukelzoon holte eine Flasche Cola Zero aus dem Kühlschrank und goss zwei Gläser voll. Er trank seines in einem Zug leer und hielt das andere Ann Kathrin hin.
»Bei dem Wetter braucht man so etwas einfach.«
Dabei bemerkte sie, dass er Chirurgenhandschuhe trug. Obwohl sie immer noch mörderischen Durst hatte und ihr eine Cola jetzt als herrliches Getränk erschien, nahm sie das Glas zwar, trank aber keinen Schluck davon. Sie befürchtete irgendwelche K.-o.-Tropfen. Gleichzeitig mahnte eine Stimme in ihr:
Dreh jetzt nicht durch. Wenn er dir K.-o.-Tropfen in die Cola getan hat, hätte er dich auch gleich da oben hängen lassen können. Du warst chancenlos in seiner Gewalt. Er hat dich befreit. Du bist wieder angezogen. Warum unterstellst du ihm solche Schlechtigkeiten?
Beukelzoon steckte das Wurfmesser wieder in die Scheide an seiner Wade und rollte das Hosenbein herunter.
Sie zeigte auf seine rechte Wade. »Ich habe bis jetzt nur einen Menschen gesehen, der dort ein Wurfmesser getragen hat.«
»Nun, Frau Klaasen, bei den meisten sieht man es einfach
nicht, weil es so gut versteckt ist. Es kommt erst zum Vorschein, wenn man es braucht.«
»Warum trägt ein pensionierter Kripobeamter so etwas?«
»Damit er nicht in so missliche Lagen gerät wie die, aus der ich Sie gerade befreien musste.«
Das saß. Ann Kathrin rieb sich die Beine. Langsam begann das Blut wieder richtig zu zirkulieren. Ein Kribbeln in den Gliedmaßen setzte ein.
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie auch nicht gerade zimperlich sein sollen. Ich weiß natürlich, dass Sie Stenger nicht umgebracht haben, aber man schiebt es Ihnen in die Schuhe.«
»Wo ist Käfer? Wird er gleich zurückkommen? Haben Sie einen Schlüssel zu diesem Haus?«
»Na, endlich werden Sie wieder zur Kommissarin. Also: nein, er wird nicht zurückkommen. Nein, ich habe keinen Schlüssel zu diesem Haus. Ich brauche keinen Schlüssel, um in ein Gebäude zu kommen. Ich habe eine gute Ausbildung genossen.«
»Was heißt das, er kommt nicht zurück?«
»Ich habe ihn getötet. Genauso, wie ich Stenger getötet habe. Es tut mir leid, Frau Kommissarin, aber Sie haben mir keine andere Wahl gelassen.«
Er schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Tststs. Kaum ist Gras über eine Geschichte gewachsen, schon kommt irgendein Kamel und frisst es ab, sagte man in meiner Jugend. Das wäre alles nicht nötig gewesen, aber Sie mussten ja unbedingt die alten Kamellen ausgraben. Sie haben dabei einen großen Flurschaden angerichtet. Oder sollte ich besser sagen, Kollateralschaden? Damit das alles nicht nötig wird, hatte ich meine Wohnung anonymisiert, mich vollkommen zurückgezogen. Ich war mit Hilfe der Abteilung für Zeugenschutz unauffindbar geworden. Und dann kommen Sie und zwingen mich, auch die letzten Verbindungen zu kappen. Jetzt tun Sie nicht so empört. Das hätte jeder Profi so gemacht.«
Ann Kathrin versuchte in ihren Verhörgang zu kommen, aber die Beinmuskulatur spielte noch nicht mit. Sie war wacklig wie ein Betrunkener. Das linke Knie gab nach. Sie musste sich am Schrank festhalten, sonst wäre sie gestürzt.
»Warum erzählen Sie mir das?«
Er lachte. »Na, Sie wollten es doch wissen, deswegen haben Sie doch den ganzen Tanz veranstaltet, oder nicht? Jetzt werden Sie die Wahrheit erfahren, Frau Klaasen. Die ganze Wahrheit. Und dann … « Er schwieg bedeutungsschwanger.
Sie sah ihn fest an und formulierte es für ihn: »Und dann sind Sie leider gezwungen, mich umzubringen.«
Er nickte. »Schlaues Mädchen. Ihr Vater wäre stolz auf Sie.«
»Warum das alles«, fragte sie, »warum? Sie hatten einen guten Posten. Im Gegensatz zu den meisten Kollegen haben Sie echt Geld verdient.«
Er verzog den
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