Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
Tetanusspritze bekommen müsste.
    Eine Spritze. Wie schrecklich sich das anhörte. Aber dann tat es gar nicht so weh, wie er gedacht hatte. Er musste versprechen, nie wieder dorthin zu gehen.
    Er versuchte, immer wieder zu erzählen, was er erlebt hatte. Aber etwas anderes war wichtiger. Sie hörten ihm nicht richtig zu.
    Erst als sie in Tante Hedis Auto vom Arzt zurückfuhren und die Aufregung sich gelegt hatte, gelang es Ansgar, eine Gesprächspause zu nutzen und seinen Satz loszuwerden.
    »Da im Haus ist eine Frau. Hinter der Wand. Sie hat mit mir gesprochen.«
    Seine Mutter ging nicht darauf ein. Sie drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten, sah ihn an und sagte streng: »Du gehst
da nie wieder hin, Ansgar! Papa hat schon die Stadtverwaltung angeschrieben. Da muss sich mal jemand drum kümmern. So geht das nicht weiter.«
    »Da ist eine Frau, Mama. Die heißt Judith. Sie hat gesagt, ich soll sie befreien.«
    Seine Mutter wandte sich wieder Tante Hedi zu. »Er ist ja so ein phantasiebegabter Junge. Also, mich fasziniert das. Du solltest mal sehen, wie das ist, wenn er mit Gerrit spielt. Du bist jetzt Indianerhäuptling, ich bin Cowboy, und dann geht es los. Die sind sofort in ihrer eigenen Welt und können dann stundenlang darin spielen und versinken … «
    »Wir spielen nicht Cowboy und Indianer. Wir spielen Piraten und manchmal Ritter, aber nicht … «
    Tante Hedi lachte. »Ja, so sind sie, die Kinder. Wie schön, dass diese magischen Kinderwelten ihnen noch offenstehen. Irgendwann ist das vorbei. Dann beginnt die Realität. Der harte Alltag des Lebens.«
     
    »Das Gespräch mit meiner Mutter ist ziemlich schiefgelaufen. Es liegt mir quer im Magen, Frank. Ich glaube, ich muss noch einmal zu ihr. Ich … «
    »Klar ist das schiefgelaufen. Es hat sich für deine Ma bestimmt angehört wie eine Zeugenbefragung. Euer Verhältnis ist nicht ganz unbelastet, Ann. Ich denke, du solltest das jetzt erst mal ruhen lassen.«
    Weller wusste, dass es so nicht weiterging. Ann Kathrins Lippen wurden immer schmaler. Die Mundwinkel zeigten nur noch nach unten, und sie lief herum wie eine abgezogene Handgranate, die jederzeit explodieren konnte. Man kann nicht nur unter Spannung stehen, dachte er. Ohne Entspannung flippt man irgendwann aus.
    Er hatte ihr ein großes Frühstück bereitet, mit ihrer Lieblingsmortadella von Meister Pompe. In dünne Scheiben geschnitten,
leicht angebraten, mit einem knusprigen Rand, einem Hauch von Knoblauch und frischgemahlenem Pfeffer.
    Die Küche war durchzogen vom Duft der ausgepressten Orangen. Er mischte noch ein paar Limonenspritzer ins Glas.
    Mit dem neuen Milchaufschäumer hatte er einen Schneeberg auf ihre Tasse gezaubert, doch sie saß nur mit angezogenen Beinen auf dem Stuhl, das Kinn auf die Knie gestützt, die Haare ungekämmt, die Augen verklebt von einer Nacht mit wenig Schlaf.
    Einen Menschen zu lieben, dachte Weller, heißt auch, ihn so auszuhalten, ja, anzunehmen. Wenn sie sexy-hexy durch die Innenstadt tigert, fahren alle auf Ann Kathrin ab. Partnerschaft entscheidet sich in der Krise.
    Sie nahm seine Bemühungen scheinbar gar nicht wahr. Nippte nicht mal an ihrem Kaffee, sondern starrte nur auf einen Fleck an der Tapete.
    Weller begann zu essen. Vielleicht, so hoffte er, stecke ich sie mit meinem Appetit an.
    Mit vollem Mund sprach er. »Heute ist mal Pause, Ann. Einmal innehalten und Luft holen. Morgen sehen wir dann weiter.«
    Sie verzog spöttisch die Mundwinkel.
    Immerhin, dachte er, sie hört also, was ich sage.
    Auch wenn sie es nicht ernst nahm, aber einen Trumpf hatte er noch. Sie selbst hatte es bereits vor Wochen in den Kalender eingetragen: Bücherflohmarkt in Norddeich am Hafen. Wie oft hatte er mit ihr solche Flohmärkte besucht? In Norden am Markt, in Jever, Sande, Oldenburg. Um seltene Stücke für ihre Kinderbuchsammlung zu finden, war ihr kein Weg zu weit. Sie liebte solche Flohmärkte.
    Er setzte alles auf diese Karte.
    »Ich fahre mit dir nach Norddeich.«
    »Häh? Norddeich?«
    »Zum Bücherflohmarkt. Steht bei dir im Kalender.«
    Er zeigte auf die Pinnwand hinter ihr, neben dem Kühlschrank.
    Sie warf einen Blick darauf. Unter dem Eintrag Bücherflohmarkt stand: Mit Rita und Peter zu Otto Groote / Gulfhof Ihnen.
    Mein Gott, dachte Ann Kathrin, es gibt wirklich noch ein Leben außerhalb des Ganzen. Wie lange hatten wir uns das schon vorgenommen? Den Bücherflohmarkt und am Abend das Otto-Groote-Ensemble.
    Die Einrittskarten aus dem Vorverkauf waren mit

Weitere Kostenlose Bücher