Ostfriesensünde
dabeigestanden und ihm eine gute Reise in die Hölle gewünscht. Ich glaube, da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas getan, wofür ich mich als Polizist schämen müsste, aber als Mensch fand ich es völlig in Ordnung. Ich war es sozusagen meinem alten Chef schuldig.«
Ann Kathrin wollte nicht wissen, was er getan hatte. Er wartete auf ihre Nachfrage, doch die kam nicht.
Sie bückte sich und pflückte eine Margerite. Im Inneren der Blüte krabbelte ein winziges Insekt herum, nicht größer als ein Punkt.
Für mich ist es eine Blume, die ich pflücke, für dieses Tier die
Welt oder das Paradies, dachte Ann Kathrin und schämte sich fast, die Blume gepflückt zu haben.
»Wenn Beukelzoon und mein Vater so eng zusammengearbeitet haben, dann frage ich mich, warum die Wohnung meines Vaters nicht anonymisiert wurde. Warum bekam er keinen Decknamen? Warum durfte er sich in Norden mit besoffenen Kleinkriminellen herumschlagen, während sein Kumpel … «
»Ihr Vater hat seine Pensionierung leider nicht mehr erlebt, Frau Klaasen.«
Huberkran war für das Wetter ein bisschen zu warm angezogen, doch als der Wind vom Meer her auffrischte, fror er plötzlich wieder, und sein durchgeschwitztes Hemd klebte am Körper fest. Er hielt während des Spaziergangs seine Tasche mit dem Laptop unterm Arm fest umklammert.
Der Raubvogel hatte Glück. Er kam aus der Deckung und schlug die Maus mit seinen Klauen. Er nahm das angststarre Tier mit in die Lüfte. In ihrer Todesangst verlor die Maus Kot. Der ostfriesische Wind wehte ihn auf Huberkrans Jacke, der bemerkte das aber nicht.
Er sagte: »Wir arbeiten mit Spheron. Ich habe sämtliche Tatorte in 360 -Grad-Aufnahmen. Wir können uns ein ruhiges Plätzchen suchen und alles anschauen. Ich habe alles dabei. Man sagt, niemand holt so viel aus einem Tatort raus wie Sie.«
Ann Kathrin fühlte sich geschmeichelt. »Ich werde mir das anschauen«, sagte sie, »aber ich komme nicht in Ihre SOKO .«
»Und wenn ich Ihnen – obwohl es so gut wie unmöglich ist – einen Termin mit Beukelzoon besorge?«
Ann Kathrin blieb stehen. Huberkran ebenfalls.
Die Kornweihe landete mit der Maus und zerfetzte sie.
»Es ist nicht leicht, aber es gibt einen Weg. Wir haben eine Möglichkeit, ihm über eine E-Mail-Adresse eine Mitteilung zukommen zu lassen. Er kann dann selbst entscheiden, ob er sich meldet oder nicht.«
»Und?«, fragte Ann Kathrin.
»Ich habe ihn bereits darum gebeten, Sie zu kontakten. Ich habe es dringend gemacht.«
»Und deshalb soll ich jetzt in Ihre SOKO ?«
»Wenn Sie weiterkommen wollen, werden noch viele weitere Probleme auftauchen, bei denen der normale Dienstweg so gut wie ausgeschlossen ist. Machen Sie sich doch nichts vor, Ann Kathrin. Niemand interessiert sich für den Schnee von gestern und was mal mit Ihrem Vater war. Ich kann Ihnen helfen. Ich bin nicht an Landesgrenzen gebunden. Übers BKA lassen sich ganz andere Strippen ziehen … «
»Schauen wir uns an, was Sie haben.«
Er lächelte, griff in seine Jacke, zog ein Papiertaschentuch heraus und tupfte sich die Schweißtropfen von der Stirn.
»Sie sollten sich eincremen«, sagte Ann Kathrin. »Unterschätzen Sie die Sonne am Meer nicht. Sie werden einen Sonnenbrand bekommen.«
Eigentlich hatte Ann Kathrin vor, im Hotel Inselfriede zu übernachten und erst am nächsten Tag zurückzufahren, doch nun entschied sie sich, mit Huberkran zusammen den Hubschrauber zu nehmen.
Ann Kathrin nahm Huberkran mit zu sich in den Distelkamp 13 . Weller besorgte bei Grünhoff Käsekuchen und Ostfriesentorte.
Ann Kathrin bot Huberkran ihr Gästezimmer an, aber er lehnte ab. Er wollte den beiden nicht zu sehr auf den Pelz rücken. Er war schneller vorwärtsgekommen, als er gedacht hatte. Er plante, sich ein schönes Wochenende am Meer zu machen. Er hatte nicht die geringste Lust, nach Hause zu fahren. Er schob Arbeit vor, aber in Wirklichkeit schreckte ihn nicht die lange Zugfahrt nach Bamberg, sondern lediglich das übellaunige Gesicht seiner Noch-Ehefrau.
Weller glänzte mit seiner Kunst, Espresso zuzubereiten, und der neue Milchaufschäumer kam zu Ehren.
Huberkran beneidete Weller. Um diese Frau, dieses Haus, diese Kaffeemaschine, diesen Milchaufschäumer und sogar um den Konditor, der solche Torten produzierte – ja, um sein ganzes Leben. Er lag drei bis vier Gehaltsklassen über Weller, aber er hätte keine Sekunde gezögert, sein Leben mit dem von Weller zu tauschen.
Als Ann Kathrin die ersten Spheron-Bilder
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