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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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unbestechlich. Vollblutpolizisten, sie kämpfen auf jedem Platz, an den die Behörde sie stellt. Die sind für die Arbeit völlig unbrauchbar. Sie fliegen vor Ort sofort auf und werden von den Zielobjekten entweder enttarnt und abgehängt oder aber sogar mit falschen Informationen gespickt, um die Fahnder zu verwirren.
    Ich habe siebzehn solcher Fälle untersucht.
    Gruppe B, von mir »die Jäger« genannt, haben in sich durchaus eine Faszination für das Verbrechen. Sie fühlen sich vom Milieu, das sie beschatten sollen, angezogen. Ein Teil von ihnen bewundert diese Gangster und möchte sein wie sie. Umso heftiger lehnen sie sie verstandesgemäß und argumentativ ab. Sie plädieren in jeder Dienstbesprechung für härtere Strafen und eine schärfere Bekämpfung, träumen aber nachts davon, auf der Gegenseite zu stehen.
    Das sind die besten. Sie bewegen sich in der Szene wie Fische im Wasser und fliegen nicht auf. Im Gegenteil, einige steigen in der Verbrecherorganisation sogar auf. Mit ihrer Hilfe gelingt es, auch die Köpfe zu fassen. Sie sind rücksichtslose Lügner, vielen tut es leid, wenn ihre Zielpersonen, in deren Nähe sie oft Monate oder Jahre verbracht haben, festgenommen und verurteilt werden.
    Sie selbst finden sich später im normalen Berufsleben oft nicht mehr zurecht, gelten als Querulanten. Einunddreißig Prozent kündigen in den ersten beiden Jahren nach ihrem Einsatz, es sei denn, sie werden erneut mit einem ähnlichen Auftrag betraut.
    Nach spätestens drei, höchstens vier Jahren, muss jeder V-Mann oder Zielfahnder ausgewechselt werden.«
    »Warum?«, fragte Weller.
    Ann Kathrin fiel auf, dass Anne Will nur mit ihr sprach. Sie beachtete die Männer gar nicht.
    Obwohl Weller gefragt hatte, antwortete Anne Will in Richtung Ann Kathrin: »Dann tritt ein sogenannter ›Verbuschungseffekt‹ ein. Sie identifizieren sich zunehmend mit dem Milieu. Sie geraten in eine Identitätskrise. Einige laufen zur Gegenseite über, andere sind schwer suizidgefährdet, weil sie mit der Situation nicht mehr klarkommen. Nach knapp neun Monaten Einsatz äußerten siebzig Prozent aller Befragten Probleme in der Partnerschaft. Nach fünfzehn Monaten hatte in einundfünfzig Prozent aller Fälle der Partner die Scheidung eingereicht.«
    Wieder meldete Weller sich zu Wort: »Warum werden verheiratete Leute überhaupt in solchen Sachen eingesetzt? Haben wir nicht genügend Singles?«
    Ihre Antwort fühlte sich für Ann Kathrin kalt und unangenehm an. »Am Anfang stabilisiert eine intakte Ehe den Fahnder. Aber schon nach vier, fünf Monaten wird der einstige Vorteil zur Belastung.«
    Ann Kathrin war froh, dass diese Frau ihr Auskunft geben konnte. Trotzdem hätte sie ihr für ihre eisige Art, die ja vermutlich einfach nur wissenschaftlich sein sollte, ins Gesicht schlagen können.
    »Ihr Vater gehörte zu dieser Gruppe B. Er war so ein Jäger. Er hat sich mir gegenüber klar geäußert. Manchmal erschrak er vor sich selbst, weil er diese Schweine so gut spielen konnte, als sei er einer von ihnen.«
    Ann Kathrin protestierte: »Mein Vater war ein aufrechter, gesetzestreuer Mann!«
    »Ja, zweifellos, aber er hatte eben auch das andere in sich. Und dann gibt es noch die Gruppe C. Ich nenne sie »die Schauspieler«.
Sie sind aus Angst vor den Abgründen in sich Polizisten geworden. Sozusagen aus Furcht vor den Konsequenzen strafbarer Handlungen haben sie sich auf die Seite des Gesetzes geschlagen. Sie genießen es, jetzt ohne Angst vor Strafe unter Kriminellen sein zu können. Ihnen macht ihre Arbeit wirklich Spaß. Sie liefern ab und zu Erfolge ab, um nicht ausgewechselt zu werden. Sie schreiben gern Berichte, in denen sie aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Es befriedigt ihren Narzissmus, wenn sie gegen besonders gefährliche Verbrecher eingesetzt werden. Ihr Material hält leider oft später im Prozess nicht stand. Sie sind bei Kollegen und Ganoven sehr beliebt. Viele Womanizer sind unter ihnen.«
    Alle spürten, dass Ann Kathrin etwas sagen wollte. Die Worte der Anderen hatten Ann Kathrin erschüttert. Sie strich sich immer wieder über die Arme, als sei sie durch Spinnweben gelaufen und wolle die jetzt abstreifen.
    Weller zögerte. Einerseits wollte er aufstehen und sie in den Arm nehmen, andererseits fürchtete er, von ihr zurückgestoßen zu werden. Er traute ihr zu, sich seiner Umarmung abrupt zu entziehen. Je mehr sie Hilfe oder emotionale Unterstützung brauchte, umso schroffer konnte sie werden, wenn ihr beides

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