Ostfriesensünde
angeboten wurde.
Ann Kathrin räusperte sich. »Kann ich … ich würde gerne mit Ihnen alleine sprechen.«
Weller kannte es nicht, dass Ann Kathrin einen Satz abbrach und dann erneut begann. Er schob es ihrer emotionalen Erregung zu. Er stand sofort auf, um ihrem Wunsch nachzukommen, aber Huberkran blieb wie versteinert sitzen.
Weller stieß ihn an. Huberkran erhob sich, als sei das rein körperlich eine Höchstleistung, die da von ihm verlangt wurde.
Er maulte: »Wir sind doch hier unter Profis.«
Weller stieß Huberkran erneut an. »Komm, wir trinken ’n Bier.«
»Ich habe keinen Durst.«
»Dann zeig ich dir meine Briefmarkensammlung.«
Widerwillig verließ Huberkran mit Weller das Zimmer. Die Dinge hier entwickelten sich ganz und gar nicht, wie er gehofft hatte. Ann Kathrin und Weller sollten Teil seines Teams werden und ihm zuarbeiten, stattdessen machten die ihr eigenes Ding und er wurde zu einer Art Erfüllungsgehilfe degradiert.
Er warf Anne Will, bevor sie ging, einen auffordernden Blick zu. Sie sollte etwas sagen, ihn unterstützen. Ein Satz wie: »Ich habe kein Geheimnis vor dem Kollegen Huberkran« hätte ihm jetzt gutgetan, oder besser noch ein: »Wenn er geht, gehe ich auch.«
Aber Anne Will sagte gar nichts, sie sah stattdessen zum Wohnzimmerfenster, wo Ann Kathrins Rosen ihre Köpfe unbeeindruckt vom Weltgeschehen der Sonne entgegenreckten.
Als die beiden Frauen endlich alleine im Zimmer waren, setzte Ann Kathrin sich näher zu Anne Will.
»Sagen Sie mir die Wahrheit. Was war mein Vater für ein Mensch? Ich komme mir langsam vor, als hätte ich ihn gar nicht gekannt.«
»Sie wollen von mir wissen, ob er einer von den Guten war oder ob er das Lager gewechselt hat, stimmt’s?«
Verblüfft über die direkte Sprache schwieg Ann Kathrin und nickte nur vorsichtig.
»Er war ein Jäger. Eine danteske Persönlichkeit.«
»Eine was … «
Anne Will hob die Hände zur Erklärung: »Er deutete wie Dante aus dem Persönlichen das gesamte Schicksal der Menschheit.«
Dem stimmte Ann Kathrin zu.
»Also, er war für mich ein leidenschaftlicher Kriminalist, aber das alles hatte auch etwas Schreckliches an sich, so ein Getriebensein. Er hielt es nicht aus, Fälle nicht zu lösen. Jeden Schwerkriminellen,
der frei und unbehelligt herumlief, empfand er als einen Vorwurf gegen sich selbst. Er war in der Bekämpfung des Menschenhandels eingesetzt. Er hätte alles getan, um Stenger für immer hinter Gitter zu kriegen und seine Organisation zu zerschlagen.«
Ann Kathrin schüttelte sich. Für sie hatte Anne Will sich verraten. Die Wahrheit lag in dem Wort »dantesk« begraben. Ann Kathrin kannte Dantes »Göttliche Komödie«, seine abenteuerliche Reise durch himmlische und höllische Welten hatte sie als Jugendliche erschreckt. War ihr Vater so ein Wanderer zwischen Hölle und Paradies?
Ann Kathrin erkannte ihre eigene Stimme nicht, als sie sprach: »Aber Sie haben behauptet, ein Teil von ihm hätte diese Kriminellen bewundert.«
»Ja, das ist bei allen Jägern so. Ihr Vater war da besonders extrem.«
»Bitte?«
»Ihr Vater hat dieses Gefühl in sich besonders gehasst und unterdrückt. Es hat ihn fast zerrissen. Er musste sich ständig beweisen, dass er einer von den guten Jungs war, indem er die Bösen gnadenlos verfolgt hat. Gnadenlos vor allen Dingen gegen sich selbst.«
»Warum sind die Ermittlungsakten gegen Stenger verschwunden?«
Anne Will stand auf. Zwischen ihren Oberschenkeln knisterte Nylon. Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wie es Ann Kathrins Erfahrung nach Menschen machten, die etwas zu verbergen hatten oder um Fassung rangen.
»Ich habe Ihren Vater im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung getroffen. Er war sehr kooperativ. Geschwätzig war er nicht. Ich glaube nicht, dass Akten verschwinden. Das sind Märchen aus Kriminalromanen.«
»Vielleicht bilden die ja die Wirklichkeit ab.«
Für einen Moment war da ein Flackern in Anne Wills Augen. Sofort setzte Ann Kathrin nach: »Jedenfalls sind die Akten verschwunden, und Stenger ist frei.«
»Stenger ist ein viel zu kleines Licht, als dass er in der Lage wäre … «
»Beukelzoon lebt irgendwo unter falschem Namen und … «
»Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. Ich bin auch nicht gekommen, um mich an solchen Spekulationen zu beteiligen. Ich tue lediglich dem Kollegen Huberkran einen Gefallen.«
»Aber bitte beantworten Sie mir noch eine Frage: Haben Sie im Rahmen Ihrer Untersuchungen auch Isolde
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