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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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hielt direkt neben ihr. Die Scheibe an der Fahrerseite senkte sich quietschend.
    Ann Kathrins rechte Hand umschloss hinter ihrem Rücken die Heckler & Koch.
    »Steigen Sie ein«, forderte eine weibliche Stimme.
    Hinter dem Steuer saß verkrampft eine Asiatin mit unlesbarem Gesicht. Ihr Ausdruck war puppenhaft. Nein, nicht versteinert, eher wie aus Plastik. Die Frau war auf eine Art geschminkt, die nicht Schönheit hervorheben, sondern Unverwechselbares verstecken sollte. Es würde schwer werden, sie später zu beschreiben.
    Ann Kathrin prägte sich Einzelheiten genau ein. Die Frau war Mitte dreißig. Glatte schwarze Haare. Prinz-Eisenherz-Frisur, Marke selbstgemacht. Wenn ein Friseur die Finger im Spiel gehabt hatte, dann garantiert einer, zu dem die Menschen gingen, weil er billig war. Sie saß zwar, aber Ann Kathrin schätzte trotzdem routinemäßig ihre Größe und ihr Gewicht. Eins sechzig
bis eins fünfundsechzig. Zierlich, höchstens fünfzig Kilo schwer.
    Sie griff fahrig nach einer viel zu großen Sonnenbrille, die auf dem Armaturenbrett lag, und setzte sich die Brille mit einer Handbewegung auf, als wolle sie einen Fehler rückgängig machen. Die Gläser der Brille waren von fettigen Fingerabdrücken verklebt.
    Vorsichtig ging Ann Kathrin um den Wagen herum, dabei hatte sie immer die Hände der Frau im Blick. Sie hielt das Lenkrad wie einen Rettungsring umklammert. Ann Kathrin kontrollierte unauffällig die Rückbank. Sie wollte nicht erleben, dass sich während der Fahrt plötzlich die Wolldecke auf den hinteren Sitzen bewegte und dann ein Gesicht im Rückspiegel auftauchte. In Filmen war das ein klasse Effekt, aber im Leben wollte sie sich so etwas ersparen. Wenn sie das Setting, in das sie sich begab, schon nicht bestimmen konnte, dann wollte sie es wenigstens kennen und über alle beteiligten Personen Bescheid wissen.
    Wenn dies hier eine Falle werden sollte, dann war sie nicht offensichtlich. Trotzdem fragte Ann Kathrin, bevor sie einstieg: »Warum gehen wir nicht einfach in ein Café und … «
    Die Stimme war so kalt, dass Ann Kathrin fröstelte. »Steigen Sie ein oder lassen Sie es.«
    Ann Kathrin wuchtete sich auf den Beifahrersitz. Genau wie der Fahrersitz war er mit einer gehäkelten Decke überzogen.
    »Fahren Sie gerne in einem Topflappen spazieren?«, scherzte Ann Kathrin. Sie hatte gelernt, dass oft ein Witz oder ein Wortspiel Gespräche unendlich erleichterten. Ein gemeinsames Lachen über etwas schaffte manchmal fruchtbaren Boden.
    »Ja, das sind Topflappen. Ich hasse jeden einzelnen.«
    »Und warum dekorieren Sie dann alles damit?«
    »Ich habe zu Hause damit mein Sofa bezogen und meine Sessel. Ich benutze sie als Handtücher, Frühstücksunterlagen,
Tischdecken. Alle meine Kissen sind mit aneinandergenähten Topflappen bezogen. Ich habe eintausendzweihundertzwölf Topflappen gehäkelt. In der Psychiatrie, nachdem ich die tolle Zeit mit Ihrem Vater überlebt hatte.«
    Ann Kathrin schwieg eine Weile betroffen, während Kim 12 die Goethestraße entlang, dann an der Rennbahn vorbei in Richtung Innenstadt fuhr.
    Ann Kathrin sah auf ihre Knie, während sie die Hände verschränkt zwischen ihren Schenkeln versteckte. Das ständige Piepsen im Wageninneren erinnerte Ann Kathrin daran, dass sie sich nicht angeschnallt hatte. So nervtötend das Geräusch auch war, Ann Kathrin schaffte es nicht, den Gurt zu sich zu ziehen und das Piepsen zu beenden. Ihre Arme kamen ihr unendlich schwer vor, als würde nicht Blut, sondern Schwermetall durch ihre Adern fließen.
    Eine Frage brannte in ihrem Gehirn und jagte durch ihren Körper wie eine Giftspritze.
Geht es mir eigentlich noch darum, den Mörder meines Vaters zu finden, oder nur darum, die Unschuld meines Vaters zu beweisen?
    Sie presste die blutleeren Fingerspitzen gegeneinander und zwang sich, konzentriert zu handeln. Step by Step, sagte sie zu sich selbst. Mach keine Idiotin aus dir. Schnall dich an und nutz die Chance. Sie weiß etwas und sie will dir etwas mitteilen, sonst wäre sie nicht gekommen. Hör ihr zu und zieh deine Schlüsse.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Ann Kathrin.
    »Nur so rum«, antwortete Kim 12 .
    »Warum gehen wir nicht in ein Lokal oder zu Ihnen nach Hause?«
    »Nein, das will ich nicht. Wir sprechen im Auto oder gar nicht.«
    »Ich habe ein Hotelzimmer, da wären wir ungestört.«
    »Nein! Kein Hotel.«
    Kim 12 parkte halb auf der Straße, halb auf dem Gehweg. Der Motor lief weiter. Sie wendete sich Ann Kathrin zu.
    »Sie sind

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