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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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irgendeiner Scheißdroge und jetzt war er auf einem Horrortrip gelandet. Hatte Lennart sich einen Scherz mit ihm machen wollen? Katastrophen-Lennart. Versager-Lennart. Sorgenkind-Lennart. Süchtel-Lennart.
    Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war Lennarts Gesicht mit dem schmallippigen, verkniffenen Lächeln. Wenn Lennart grinste, hatte das immer etwas Schmieriges an sich. Seiner Mutter hatte er vor Jahren auch einmal eine Droge ins Essen gemischt. »Wahrheitskekse« nannte er sein Gebäck. Berge aus Kokosraspeln, Schokolade und Marzipan auf Weißmehl.
    Rose, die kalorienbewusste Rose, hatte überhaupt nur ihm zuliebe hineingebissen, um den Jungen nicht zu verletzen, weil er sich doch solche Mühe gegeben hatte, um seiner Mutter eine Freude zu machen.
    Kurz nach dem fragwürdigen Genuss war ihr schlecht geworden und dann war sie von dem unstillbaren Drang ergriffen worden, ihr Leben zu erzählen, Geheimnisse auszupacken und »endlich mal die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit«.
    Er selbst war ins Wohnzimmer gekommen, als Lennart seiner Mutter gerade ein Plätzchen an die Lippen führte und wie zu einem kleinen Kind sagte: »Und jetzt noch einen Bissen für Lennart … ja, schön kauen. Das sind gute Kekse. Wahrheitskekse.«
    Er hatte seiner Frau sofort angesehen, dass sie in einem bedenklichen Zustand war. Sie öffnete den Mund wie ein hungriges Baby. Später hatte er die Kekse im Labor selbst untersucht und darin Spuren von Thiopental nachgewiesen, das in der Intensivmedizin benutzt wird und auch als Wahrheitsserum gilt. Außerdem Spuren von Nachtschattengewächsen wie Stechapfel, Bilsenkraut, Alraune und Engelstrompete.
    Lennart, der Giftmischer.
    Aber Mamis Liebling hatte behauptet, alles sei nur eine üble
Intrige, mit der er einen Keil in das gute Verhältnis zwischen Mutter und Sohn treiben wolle.
    Er war am Ende als Verlierer aus der Auseinandersetzung hervorgegangen. Das Ganze war zum Tabuthema geworden. Lennart hatte nie wieder für sie gebacken oder gekocht.
    Oder war alles ganz anders? Hatte jemand Lennart und ihn entführt? Aber warum? Wozu? Was sollte das? Eine Erpressung? Wusste jemand von seinen Konten in Liechtenstein? Er war alles zusammengerechnet zwei Millionen Euro wert. Aktien, Pfandbriefe, Geld, Spareinlagen. Binnen vierundzwanzig Stunden konnte er gut und gerne zwei Millionen Lösegeld auftreiben. Die Finca auf Mallorca und die Ferienwohnung am Vierwaldstätter See in der Schweiz waren auch noch mal eine Million wert.
    Aber es würde dauern, das Geld flüssig zu machen. Die Klinik in Leer würde Rose hoffentlich nicht verkaufen. Mit irgendetwas musste er später ja wieder weitermachen.
    Plötzlich wurde ihm ganz kalt. Er fragte sich, ob Rose überhaupt für ihn bezahlen würde … Für ihren hoffnungslosen Sohn würde sie, ohne zu zögern, alles verschleudern, was er schwer verdient hatte. Aber für ihn?
    Wenn der Entführer ihn umbrachte, würden aus seiner kapitalbildenden Lebensversicherung noch einmal 1 , 4 Millionen fällig. Für Rose könnte sein Tod zu einem Befreiungsschlag werden.
    Er hoffte, dass er gemeinsam mit Lennart entführt worden war. Beide würde sie freikaufen.
    Er versuchte, sich an die letzten Minuten zu erinnern. Er hatte Ostfriesentee aus der Kanne mit dem Rosenmuster in das Tässchen mit dem zarten Sprung im Porzellan gegossen. Knisternd war das dicke Kluntjestück zerplatzt. Dann hatte er Sahne ringförmig, gegen den Uhrzeigersinn, in die Tasse tröpfeln lassen und zugesehen, wie die weißen Wolken sich im braunen Tee auflösten.
    Wenn Lennart ihm irgendwelche Drogen oder K.-o.-Tropfen eingeflößt hatte, dann mussten sie schon in der Kanne gewesen sein. Danach hatte er die Tasse intensiv betrachtet, in der Hand gehalten und geleert, bevor der Zuckerstein sich aufgelöst hatte.
    Nein, im Tee konnte nichts gewesen sein. Lennart selbst hatte Tee getrunken. Zwei, drei Tassen.
    Die Erkenntnis ließ ihn zusammenzucken. Das Zeug musste in der flüssigen Sahne gewesen sein. Natürlich! Lennart nahm immer nur Kluntje, nie Sahne. Er hatte doch angeblich eine Laktoseintoleranz. Mein Gott, gegen was war Lennart nicht allergisch? Hausstaub. Erdbeeren. Thunfisch. Milchprodukte. Fettiges Fleisch. Klebstoff. Und an irgendeine synthetische Beimischung, die oft in Baumwollhemden und -socken vorkam, konnte er sich noch erinnern. Anziehsachen für ihn zu kaufen war eine Mischung aus Medizinstudium und Chemietest.
    Er hörte ein Geräusch. Endlich ein Geräusch! Es war

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