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Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Titel: Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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vertragen würde. Andererseits, es war zumindest ein Ansatzpunkt, etwas mehr über Solveigh Halbys und auch Katja Simons Vergangenheit zu erfahren.
    Solveighs große, von dünnen Wimpern umrahmte Augen sahen sie prüfend an. »Warum nicht? Aber ich warne Sie: Es ist nicht sehr unterhaltsam.«
    »Wir werden sehen …«
    »Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen, von der ich lange Zeit nicht wusste, dass sie meine Großmutter und nicht meine Mutter ist. Meine Mutter war meistens auf See. Sie hat viel auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet: die Kabinen geputzt. Damit ließ sich ganz gut Geld verdienen … Außerdem wollte sie wohl unbedingt was von der Welt sehen. Für meine Großmutter war ich nur eine Last. Sie hat es mir immer wieder vorgehalten: dass sie sich erst mit meiner Mutter, dem undankbaren Biest, und nun mit mir abquälen muss. Ihr ist schnell mal die Hand ausgerutscht. Aus lauter Angst vor ihr habe ich versucht, ihr nie Probleme zu machen. Ich war ein stilles Kind, schüchtern bis zum Erbrechen. Auch in der Schule habe ich mich nie getraut, den Mund aufzumachen. Mit den anderen Kindern kam ich auch nicht klar. Ich habe den Unterricht geschwänzt, vor allem, um den verhassten Pausen zu entgehen. Beinahe hätten sie mich während meiner Grundschulzeit schon auf die Sonderschule abgeschoben, aber aufgrund meiner schriftlichen Leistungen bin ich dann doch auf der Realschule gelandet. Die Freude darüber hielt nur so lange an, bis ich an Herrn Benning geraten bin. Er war mein Lehrer in Mathe, Biologie und Sport, und er konnte mich nicht leiden. Es war ein Albtraum.« Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck war gequält. »Immer wieder hat er mich in Mathe vor versammelter Klasse an die Tafel geholt und vorgeführt. Er nannte mich ›Sauveigh‹ oder ›Dickerchen‹, in Anspielung auf mein Übergewicht. Als wir in Biologie in der sechsten Klasse Sexualkunde hatten, hat er mich nach vorn gerufen und alle Kinder auf meine gut entwickelte Oberweite aufmerksam gemacht. Aber der Sportunterricht war am schlimmsten. Während wir um den Sportplatz liefen, stand er in der Mitte und hat ›Hopp, hopp, Sauveigh!‹ gerufen.«
    »Hatten Sie niemanden, an den Sie sich wenden konnten? Einen Vertrauenslehrer oder so?«, fragte Pia. Sie legte ihre Gabel beiseite, weil ihr der Appetit vergangen war.
    »Ich wusste nicht einmal, dass es einen gibt. Ich hatte noch nie die Erfahrung gemacht, dass sich jemand für mich einsetzt. Meine Großmutter sagte nur: ›Da musst du durch. Das Leben ist eben kein Zuckerschlecken.‹ Wahrscheinlich bin ich deshalb schon morgens vor der Schule zum Bäcker gegangen und habe mir massenweise Kuchenreste gekauft. Das Zeug habe ich dann den ganzen Tag lang gefuttert.« Wieder stockte sie kurz in ihrer Erzählung. »Irgendwann habe ich die Schikanen von Herrn Benning nicht mehr ausgehalten. Er war ein Angeber. Er erzählte uns Geschichten, wie er im Skiurlaub mal todesmutig aus dem Lift gesprungen ist, weil der defekt war. Von Heldentaten beim Windsurfen und beim Triathlon. Ich dachte: Dabei könnte er doch ertrinken, dann wäre ich ihn los. Das hat sich in meinem Kopf festgesetzt wie ein Geschwür …«
    Sie sah Pia kurz an und fuhr dann fort: »Ich bin allergisch gegen Hausstaub und Pollen und bekam regelmäßig Allergietabletten verschrieben. Das waren zu der Zeit noch richtige Hammerteile, anders als heute. In der Gebrauchsanweisung stand, dass sie müde, benommen und schwindelig machen, wenn man zu viel davon nimmt. Müde machten die auch in normaler Dosierung. Ich fühlte mich oft wie benebelt, wenn ich was davon genommen hatte.« Solveigh Halby seufzte und sah eine Weile schweigend vor sich hin. »Dann hat Herr Benning mal wieder damit geprahlt, dass er freitags mittags, gleich nach der Schule, nach Fehmarn zum Surfen fahren würde. Ich war morgens mit einem Rezept in der Apotheke gewesen und hatte eine neue Packung Allergietabletten bekommen. An dem Tag hatte er mich im Matheunterricht wieder an der Tafel vor der ganzen Klasse blamiert, und das, obwohl ich zu Hause alles richtig gerechnet hatte. Ich konnte es nur nicht unter Stress!«
    Die Erinnerung daran ließ Solveigh Halby noch im Nachhinein Tränen der Wut und Scham in die Augen steigen. Sie blinzelte, wischte sie weg. »Heute weiß ich, dass es falsch war. Aber damals: Ich war zwölf und wusste nicht mehr weiter. Wir hatten Benning freitags in Mathe und in der letzten Stunde in Sport. Beim Sport stand seine Trinkflasche

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