Ostseefluch
an frischem Gras. »Ich glaube kein einziges Wort von dem Mist«, sagte sie mit erhobener Stimme. »Verlassen Sie sofort mein Geschäft!«
»Das werdet ihr bereuen.« Sein Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Fratze. »Nachdem Sie so offen waren, an der Séance teilzunehmen, hätte ich Ihnen etwas mehr Vernunft zugetraut.« Es klingelte zweimal blechern, und die Ladentür fiel hinter ihm ins Schloss.
Maren Rosinski sah wesentlich mitgenommener aus als nach dem ersten Angriff auf sie, obwohl sie dieses Mal unverletzt geblieben war. Das dunkle Haar fiel ihr strähnig auf die Schultern. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sie saß, in eine übergroße Strickjacke gewickelt, am Küchentisch und trank Tee, der, dem Geruch nach zu urteilen, mit einem guten Schuss Rum aromatisiert worden war. In stockendem Tonfall berichtete sie, was ihr am Vorabend am Staberhuk passiert war. Dass sie wieder nicht erkannt hatte, wer ihr da so auf die Pelle gerückt war, erfüllte Pia mit einer Mischung aus Unglauben und Wut. Ja, Wut. Auf denjenigen, der die Polizei so dermaßen an der Nase herumführte.
»Warum zum Teufel informieren Sie uns erst jetzt über diesen Überfall?«, brauste Pia spontan auf, was ihr einen missbilligenden Blick von Manfred Rist eintrug.
»Ich wollte mich ja gestern Abend noch melden. Aber dann hab ich an das ganze Theater gedacht ... die Fragen, die vielen Menschen ... und da konnte ich nicht ...«
»Was haben Sie denn gemacht, nachdem Sie vom Staberhuk weggefahren sind?« Rist gab den Einfühlsamen. Ein Spielchen, das im Kontrast zu seiner ruppig-männlichen Ausstrahlung bei Maren Rosinski bestimmt gut ankommt, dachte Pia.
Sie sah ihn von unten herauf an. Eine Haarsträhne war ihr ins Gesicht gefallen. »Ich bin auf direktem Weg nach Hause gefahren. Fast ... Ich bin noch bei Rudolf vorbeigekommen, aber ich hab nicht angehalten. Drinnen brannte Licht, es sah so friedlich aus, trautes Heim ... Und beide Autos standen in der Einfahrt. Ich wollte nicht stören.«
»Oder wollten Sie sich davon überzeugen, dass kein Fahrzeug fehlte?«
»Nein!« Sie sah Pia entrüstet an. »Rudolf würde nie ... Er war nicht der Angreifer. Hundertprozentig.«
»Wieso sind Sie sich da so sicher?«, hakte Pia nach. »Er ist die Verbindung zwischen Milena, Mordkuhlen und Ihnen. Das fehlende Glied in der Kette.«
»Sie kennen ihn nicht«, fuhr die Rosinski sie an. »Er hat seine Tochter geliebt. Er hätte ihr nie was zuleide getan, egal, wie sie sich aufgeführt hat.«
»Und Sie? Hatten Sie eine Auseinandersetzung mit ihm?«
»Wie kommen Sie denn darauf?« Ihre Augen wurden schmal. Ihre Hand umkrampfte den Becher, den sie gerade zum Mund hatte führen wollen.
»Immerhin geben Sie sich gegenseitig ein Alibi.« Pia gefiel sich in der Rolle als Advocatus Diaboli. Die Frau wusste doch etwas. Es wurde Zeit, dass Maren Rosinski den Mund aufmachte.
»Das Alibi entspricht der Wahrheit. Was wird hier überhaupt gespielt? Ich bin angegriffen worden. Jemand hat versucht, mir etwas anzutun.« Ihr Blick ging Hilfe suchend zu Rist, doch der schwieg. »Dieser Kerl hat mich zu Tode erschreckt und verfolgt«, fuhr sie fort. »Den sollen Sie finden. Und, ganz nebenbei bemerkt, Milenas Mörder haben Sie auch noch nicht gefasst, oder?«
Damit hatte sie recht. »Sie wissen aber, dass die Ingwers nicht zwei, sondern drei Autos besitzen?«
»Die alte Kiste in der Garage ist doch ständig kaputt.« Sie sah ein wenig verunsichert aus.
»Und Sie haben kein Auto am Staberhuk gesehen? Nirgendwo?«, fragte Rist.
»Nein. Doch ich hab später auch nicht so genau darauf geachtet. Ich bin um mein Leben gerannt.«
»Wir werden versuchen herauszufinden, wer Ihnen die SMS geschrieben hat«, sagte Pia. »Überlegen Sie mal: Könnte es auch eine Frau gewesen sein, die Ihnen am Leuchtturm aufgelauert hat?«
Maren Rosinski zuckte mit den Schultern. »Wenn, dann war sie groß und kräftig. Aber eigentlich ... Nein, ich glaube, es war ein Mann.«
»Judith Ingwers ist recht groß und kräftig.«
»Und wenn schon! Sie ist das geborene Opfer. Sie schlägt nicht zu. Niemals. Immer schön der Bibel gemäß: auch noch die andere Wange hinhalten.«
»Oder alttestamentarisch: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹«
»Judith ist jedermanns Fußabtreter. So war sie schon als Kind, und das wird sich auch nie ändern. Und ihr komischer Betkreis scheint sie auch noch darin zu bestärken, dass ewiges Leiden der Weg ins Himmelreich ist.«
»Wollen wir eine Wette
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