Ostseegrab
Schloss ließ sich öffnen, aber die Tür gab nicht nach. Hatte Hanjo mal wieder zu tief ins Glas geschaut und von innen den Riegel vorgeschoben? Nach Freyas Tod war das schon ein paarmal passiert. Hanjo hatte sich immer entschuldigt, obwohl er ihm natürlich keinen Vorwurf gemacht hatte. Schließlich war es sein Haus und es war überaus freundlich von Hanjo, dass er ihn das Bad benutzen ließ. Aber was nun? Ben überlegte einen Moment. Sollte er zu Tina laufen? Nein, er würde nur die gesamte Familie aus dem Bett klingeln. Er sollte schlafen gehen und morgen mit einem Blumenstrauß bei Sophie auf der Matte stehen. Hörte er ein Planschen? Ben grinste. Da nahm der alte Kerl doch tatsächlich zu später Stunde noch ein Bad. Selbst wenn das Fenster nicht so hoch gewesen wäre, hätte Ben nicht hineingesehen. Er wollte gar nicht wissen, was Hanjo so spät in der Wanne trieb. Ben ging auf der anderen Seite des Hauses zurück. Aber da flackerten doch Kerzen. Das schwache Licht schien aus dem kleinen Wohnzimmer hinter der Küche. Ben trat ans Fenster und sah hinein. Tatsächlich, auf einem Tisch brannten Kerzen. Plötzlich packte ihn eine Hand an der Schulter und riss ihn zurück.
»Hey, du Spanner!«
Ben drehte sich erschrocken um. »Olli! Bist du verrückt? Ich krieg noch einen Herzinfarkt wegen dir.«
»Ist sie da?«
»Wer? Sophie?«
»Nein, Pamela Anderson. Natürlich Sophie.«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein, du hast sie ja erfolgreich verjagt. Vielen Dank dafür! Hanjo ist im Bad. Wir müssen mit ihm reden. Er hat schon wieder Kerzen brennen. Er wird sich noch die Hütte abfackeln. Was machst du eigentlich hier? Ich bin davon ausgegangen, dass du mit mir fertig bist!«
Olli sah ihn ernst an. »Ich mach mir Sorgen. Ich bin zwar ziemlich besoffen, aber zum Nachdenken hat es gerade noch gereicht. Sophie verdächtigte mich. Sie dachte, ich hätte vielleicht ein Trauma oder so, wegen Fenja. Und dass ich sauer war auf Sarah, wegen dir, und sie dann, na du weißt schon.«
»Ja, mich hatte sie auch auf dem Kieker wegen Jo. Hobbypsychologie.«
Olli blieb ernst. »Was ist mit Hanjo?«
»Hanjo? Was soll mit ihm sein?«
»Was, wenn er die Macke hat?«
Ben starrte ihn fragend an.
»Ben! Bist du schwer von Begriff! Irgendwer nimmt gerade ein Bad.«
Ohne noch eine Sekunde nachzudenken, schlug Ben mit dem Ellenbogen die Fensterscheibe ein.
Sophie klammerte sich verzweifelt an der Wanne fest. Sie fühlte sich so schwach und allein. Ohne Hilfe würde sie ihn nicht aufhalten können. Hanjo legte seine Hände auf ihre Schultern und lächelte.
»Du hast es gleich geschafft. Ertrinken ist kein schlimmer Tod, wenn man nicht dagegen ankämpft. Alles wird gut. Ich bin doch bei dir.«
Dann drückte er sie unter Wasser. Sophie strampelte mit den Beinen. Mit ihren Händen suchte sie verzweifelt einen Halt, doch die Wanne war glatt und sie konnte sich nicht festhalten. Plötzlich riss Hanjo sie hoch. Sein Gesicht war zu einer wutverzerrten Maske geworden. Sie hatte den alten Mann noch nie so gesehen.
»Jetzt mach es uns doch nicht so schwer, verdammt! Du sollst doch lächeln! Du bist doch eine ehrgeizige Kiterin. Du liebst das Wasser! Ich dachte, du würdest es verstehen! Wir wiederholen doch nur, was vor langer Zeit geschah.« Hanjo atmete tief durch und plötzlich klang seine Stimme wieder warm und liebevoll. »Diesmal bist du nicht allein. Jetzt schlaf, meine Kleine. Schlaf ein.«
Sophie sah Hanjo entsetzt an. Hielt er sie für Fee? Waren alle Frauen nur deshalb ertränkt worden, weil ein verzweifelter Vater nicht darüber hinwegkam, dass seine kleine Tochter allein gestorben war? Mit einem kräftigen Stoß wurde sie unter Wasser gedrückt. Immer wieder versuchte sie, sich aufzusetzen oder seine Arme zu packen, doch Hanjo war stärker. Sie hatte keine Luft mehr. Sophie versuchte, den Mund geschlossen zu halten, doch gegen diesen Hustenreiz kam sie nicht an. Sie schluckte Wasser. Der Reflex, atmen zu wollen, war stärker als jede Logik. Es war vorbei. Sie würde hier sterben. Sie würde auf Fehmarn sterben, wie Pelle. Vielleicht würde sie dann wieder mit ihm zusammen sein. Das war ein Trost. Sophie schloss die Augen und verlor das Bewusstsein.
»Sophie!«
Jemand rief ihren Namen und schlug ihr ins Gesicht.
Jetzt lass mich endlich in Ruhe! Lass mich doch sterben! Ich hab doch gelächelt, als ich an Pelle gedacht habe. Deine kranke Mission ist doch erfüllt. Sophie hatte keine Lust mehr die Augen wieder zu öffnen.
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