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Ostseegrab

Ostseegrab

Titel: Ostseegrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Clausen
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machte alles so viel leichter. Er hatte ja noch so viel übrig. Fips hatte ihm viel mehr dagelassen, als Freya wollte. In klaren Momenten hatte sie ihm immer wieder gesagt, dass sie nicht einfach so dahindämmern und auf den Tod warten wollte. Sie wollte nur eine geringe Dosis. Nur so viel, dass sie die Angst vor dem Tod aushalten konnte. Freya war so tapfer gewesen und deshalb hatte er noch all diese Pillen im Schrank. Er sah sich noch einmal im Bad um. Sah doch alles gemütlich aus. Über die Leergutkisten hatte er ein Bettlaken gehängt. Schließlich sollte sie sich entspannen und nicht das Gefühl haben, in einem Getränkegroßmarkt sterben zu müssen. Die große Tasche, in der normalerweise Surfbretter transportiert wurden, lag im Schlafzimmer. Er würde sie nachher holen. Nun musste er sich um die Hauptperson kümmern. Es wurde Zeit. Hanjo lief ins Schlafzimmer. »Hast du Stefan erreicht?«, fragte er leichthin. »Sophie?« Sie saß da und starrte auf die Fotos. Hanjo lachte kurz. »Sentimental, ich weiß. Ich nenn es meinen kleinen privaten Friedhof. Es ist so schön, sie alle bei sich zu haben. Kennst du das Gedicht über Ophelia? Die Übersetzung von Karl Klammer?« Sophie schüttelte den Kopf. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Hanjo stellte sich gerade hin, um den Ausschnitt vernünftig zu zitieren. »Ophelia, bleiche Jungfrau, wie der Schnee so schön, die du, ein Kind noch, starbst in Wassers tiefem Grunde. Kapierst du? Ophelia, Fee. Meine Tochter ist im tiefen Wasser gestorben. Ihr Grab ist die Ostsee.« Sophie sah ihn fragend an. Verstand sie denn immer noch nicht? »Siehst du den hübschen Silberrahmen da hinten? Den Antiken? Der ist für dich!«
     
    Sophie hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Sie saß in der Falle und es gab nichts mehr, was sie dagegen tun konnte. Sie war körperlich am Ende und Hanjo war verrückt. Er war ein Mörder. Er hatte sie alle umgebracht. In den Bilderrahmen waren ihre Fotos. Die Bilder von Fenja und Freya waren ganz normale Portraitaufnahmen. Freya war eine schöne Frau gewesen. Auf dem Foto musste sie etwa Mitte 50 gewesen sein. Fenja lachte sie mit diesem typischen unsicheren Teenagergrinsen an. Ihr Gesicht war schmal und ihr Haar lang und blond. Fenja sah fast so aus wie sie selbst in dem Alter. Die Fotos von Sandra, Sarah und Clara waren grauenhaft. Hanjo hatte sie nach ihrem Tod fotografiert. Die Frauen lagen in einer Badewanne. Sophie lief es eiskalt den Rücken runter. Der leere Rahmen war ihr zugedacht. Warum war sie nicht in Panik? In ein paar Minuten würde Hanjo sie umbringen, daran hatte sie keinen Zweifel. Eigentlich war sie ganz froh, dass dann alles vorbei war und sie endlich schlafen konnte. Wollte sie das wirklich? Sophie griff nach einer Kerze und goss sich das heiße Wachs über den Arm. Es tat weh. Sie spürte noch was. Nein, sie wollte nicht sterben! Nackte Angst packte sie. Die Galerie der Toten. Sie musste sich übergeben. Sie drehte sich vom Tisch weg, um nicht auf die Bilder zu kotzen.
    »Meine Güte, Sophie.«
    Hanjo war wieder da und er sprach mit dieser besorgten Stimme zu ihr. Sie fühlte sich so schwach. Nein, sie würde es nicht schaffen. Sie hatte keine Kraft mehr. Wie sollte sie sich denn gegen das Unvermeidliche wehren?
    »Meine Kleine, du hättest wirklich noch im Krankenhaus bleiben sollen.« Hanjo sah sie bestürzt an und streichelte ihre Wange. »Eine Gehirnerschütterung soll man nun mal nicht einfach auf die leichte Schulter nehmen. Na, mach dir keine Sorgen. Die Wanne ist schon eingelassen. Du bist ganz schnell wieder sauber.«
    »Warum?«
    »Warum?« Hanjo schüttelte verständnislos den Kopf. »Du hast dich von oben bis unten vollgekotzt!«
    Sophie zeigte mit zitternden Fingern auf die Bilder. Er folgte ihrem Blick.
    »Ach das! Na, um sie glücklich zu sehen.«
    »Wen?«
    »Fee natürlich!« Hanjo klang ungeduldig. »Ich dachte, du würdest mich verstehen! Fee bekam dieses Surfbrett als Geburtstagsgeschenk. Sie wollte es natürlich gleich ausprobieren. Sie fuhr davon wie der Blitz. Und sie kam nie zurück. Ich habe zwei Tage am Strand gewartet. Sie kam nicht. Nie wieder. Man hat weder sie noch das Brett gefunden. Sie ist verschwunden. Die Ostsee ist ihr Grab.«
    Sie hatte recht gehabt. Alles drehte sich um Fenja. Aber was erwartete Hanjo von ihr? Was meinte er damit, dass er Fee glücklich sehen wollte? Wenn sie doch nur die Zusammenhänge begreifen würde. Sie musste versuchen, ihn zum Reden zu bringen. »Aber wenn sie

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