Ostseegrab
der offenen Schiebetür seines Busses und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er überlegte kurz, ob er in Ollis Wohnmobil gehen und sich einen Kaffee kochen sollte, doch er konnte sich nicht rühren. Das Ganze war ein Albtraum. Wenn er doch nur wüsste, wie es Sophie im Moment ging? Konnte sie sich erinnern? Hatte sie irgendwas gesehen? Ben hatte so gut wie gar nicht geschlafen. Erst in den Morgenstunden war er kurz weggedämmert, doch dieser leichte Schlaf war keine Erholung. Im Gegenteil. Diese Albträume hatten ihn total durcheinandergebracht. Mittlerweile wusste er selbst nicht mehr genau, was passiert war. Er sah nur immer wieder Sophies blutüberströmtes Gesicht vor sich. Als die Sanitäter sie in der Nacht mitgenommen hatten, wäre er natürlich am liebsten mitgefahren. Die Polizei war dagegen gewesen, weil er als Zeuge zur Verfügung stehen sollte. Zwei Beamte hatten ihn noch in der Nacht befragt. Sie hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihn als Täter keinesfalls ausschlossen. Es hatte ihn gewundert, dass sie ihn nicht gleich mitgenommen hatten. Ben schmiss die Kippe ins Gras. Er musste sich jetzt einfach zusammenreißen. Entschlossen stand er auf und griff nach dem Wohnmobilschlüssel. Nach einer heißen Dusche und einem starken Kaffee würde er sich bestimmt besser fühlen. Vielleicht könnte er dann etwas essen. Sein Magen fühlte sich an wie ein kalter Stein. Ja, er musste jetzt aktiv werden. Er wusste doch aus der Vergangenheit, dass es keinen Sinn hatte, den Kopf in den Sand zu stecken. Ben schloss Ollis Wohnmobil auf und ging ins Bad. Erst jetzt, als er in den Spiegel sah, bemerkte er, dass sein T-Shirt blutverschmiert war. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Schnell riss er sich die dreckigen Klamotten vom Körper. Er drehte das heiße Wasser auf und stieg in die Wanne. Unter seinen Nägeln war getrocknetes Blut. Ein paar Minuten stand er einfach nur da. Seine Tränen mischten sich mit dem heißen Wasser. Endlich gelang es ihm, die Flasche Duschgel zu greifen und sich zu waschen. Erschöpft wickelte Ben sich in eines von Ollis Handtücher und setzte sich auf den Klodeckel. Er fühlte sich ein bisschen besser und er hatte Hunger. Er würde sich ein paar Eier in die Pfanne hauen. Er brauchte neue Kraft, wenn er es mit dem Superbullen Sperber aufnehmen wollte. Ben griff nach der Brause, um die Wanne auszuspülen. Sand und dunkle Spuren, von denen er annahm, es handelte sich um ihr Blut, klebten auf dem Boden. Zum Glück kannte er sich im Wohnmobil gut aus. Zielsicher öffnete er den kleinen Schrank, in dem Olli die Scheuermilch aufbewahrte.
Tina deckte mit zitternden Händen den Tisch auf der Terrasse. Pelle lag auf dem Boden und sah sie unglücklich an. Broder hatte ihr den Hund gestern Nacht vorbeigebracht und ihr von dem Überfall erzählt. Wie schwer verletzt Sophie tatsächlich war, hatte er nicht sagen können. Tina hoffte, dass Stefan endlich anrufen und ihr mitteilen würde, dass alles in Ordnung war.
»Mami, Tante Sophie ist schon wieder weg!« Antonia kam im Pyjama auf die Terrasse gelaufen. »Ich war in ihrem Zimmer.«
»Ich weiß, mein Schatz«, erklärte Tina mit gespielter Gelassenheit. Im selben Moment stand Pelle auf und lief müde auf ihre Tochter zu, um sie zu begrüßen.
»Pelle!«, kreischte Antonia sofort. »Was machst du denn hier? Mami? Wieso hat Tante Sophie ihn denn nicht mitgenommen?«
»Weißt du Toni, die Sophie hatte einen Unfall. Sie ist im Krankenhaus.«
Antonia sah sie neugierig an. »Hat sie sich ein Bein gebrochen?«
»Nein. Sie hat sich den Kopf gestoßen.«
»Ich darf nie ins Krankenhaus«, beschwerte sich Paul, der unbemerkt auf die Terrasse gekommen war.
Tina kniete sich auf den Boden und hielt beide ganz fest. Sie durfte ihre Angst nicht auf die Kinder übertragen. Sie räusperte sich und lächelte. »Na los! Wir frühstücken jetzt erst mal und dann finden wir heraus, wie es Tante Sophie geht.« Schon wieder piepte und klingelte Sophies Handy auf dem Wohnzimmertisch.
»Gehst du nicht ran?«, wunderte sich Antonia.
Tina fragte sich gerade, ob sie nicht tatsächlich an Sophies Telefon gehen sollte, als sie einen Wagen hörte. Hastig sprang sie auf und rannte ums Haus herum. Stefan half Sophie gerade aus dem Auto heraus. Sie sah schlimm aus. Es war nicht der Kopfverband, der Tina erschreckte, sondern die Blässe in ihrem Gesicht. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, seufzte Tina. Stefan gab ihr einen Kuss auf die Wange.
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