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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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glänzend!«
    Krüger? Julia konnte sich nicht erinnern, den Namen öfter gehört zu haben. Aber das mochte daran liegen, daß Anne immer vollkommen sicher wirkte, vollkommen autonom und auf seltsame Weise bedürfnislos. Fast hätte Julia die Episode am Fenster vergessen, die Nacht, in der Anne da gestanden hatte, nackt, allein und gänzlich ruhig. Die Tages-Anne, die Arbeits-Anne, die jetzt ihr gegenübersaß, hatte gar nichts damit zu tun, so schien es. Die machte einfach ihren Job, gleichmäßig, ruhig, ohne Ehrgeiz und ohne Überdruß.
    Die großen Gruppen der Tagestouristen blieben jetzt völlig aus, und so verschlug es nur einzelne in die kleine Gedenkstätte. Die lösten dann ihre himmelblauen Pappeintrittskarten und schlenderten unschlüssig im Erdgeschoß umher, besichtigten die Küche (die Ladestein nie benutzt hatte), den großen Salon mit den vielen Seefahrtsbildern und den kuriosen »Schätzen«, die ihm Freunde aus aller Herren Länder mitgebracht hatten: die Knotentafeln und die billigen Imitate von Galionsfiguren, die vielen Buddelschiffe daneben, die Anne zur Verzweiflung trieben, weil man sie täglich abstauben mußte. Postkarten von zahlreichen Freunden waren an einer Wand aufgereiht, kleine Gläser mit längst mürbe gewordenen Korkverschlüssen mit buntem Sand aus China und aus Palästina gefüllt. Seesterne bogen sich vor Trockenheit, eine Schiffskanone rostete gelangweilt vor sich hin.

    Die meisten Besucher wagten kaum, eine Frage zu stellen, und mit ihrer spröden Art ermutigte sie Anne auch nicht dazu. Jeanette hatte das schon bemerkt, mit Bedauern. »Was man hier alles machen könnte...«, hatte sie gesagt, aber Anne hatte sie nur verständnislos angeschaut. Sie war Wissenschaftlerin, nicht Fremdenführerin, und wer etwas wollte, konnte schließlich fragen. Wenn die Besucher weitergingen, warfen sie meist nur einen flüchtigen Blick in die karg möblierten Schlafkammern, und die wenigsten nahmen sich die Zeit, um zu schauen, was der Hausherr in den Ferien gelesen hatte. Sie alle wurden offenbar von einem unbestimmten Gefühl zur Eile genötigt, einem Gefühl, das ihnen sagte, sie befänden sich in Privaträumen, und es sei ein wenig ungebührlich, hier herumzuschnüffeln.
    Julia kannte dieses Gefühl, und sie konnte die Leute gut verstehen. Sie selbst hatte einmal einen Band mit Briefen des unglücklichen Franz Kafka erworben und nach der Lektüre der ersten paar Seiten verschämt zurück in ihr Bücherregal gestellt - was sie da las in den Briefen an seine Liebe Milena, das war ihr zu persönlich, zu intim gewesen. Sie schwankte zwischen dem Bedürfnis, das Buch wegzuwerfen oder, im Gegenteil, sämtliche Exemplare aufzukaufen. Immer hatte sie den Wunsch verspürt, solche Dichter zu beschützen. An Ladestein hatte sie sich nur herangetraut, weil das ein äu ßerst selbstironischer Geselle gewesen war, keine tragische Figur. Er hatte mit seiner »Selbstverwurstung« gespielt, sarkastische Briefe »an die zukünftigen Damen und Herren Herausgeber« hinterlassen (»Es ist ja damit zu rechnen, daß sich in kommenden Jahren auch die Damen dieser hochnotpeinlichen Tätigkeit widmen werden - mein Beileid!«) und sogar absichtlich manche falsche Fährte gelegt. Offenbar machte ihm der Gedanke Spaß, womöglich noch posthum die »hochverehrten wissenschaftlichen Vorstände« an der Nase herumzuführen. Für diese Selbstironie liebte Julia
ihren Dichter, für diese Leichtigkeit. Ladestein hatte gewußt, daß er kein großer Poet war. Aber er hatte es sich selber »nicht übelgenommen«. »Uns andere muß es ja auch geben!«, hatte er geschrieben und keck hinzugefügt: »... denn wir werden gelesen!« Und mit derselben witzigen Ungeniertheit hatte er sich auch an allen möglichen und unmöglichen Stoffen und Genres probiert. Gedichte geschrieben, Kurzgeschichten und höchst amüsante Reisefeuilletons. Dem Menschen Ladestein war damit freilich nicht beizukommen. Er schien immer eine Maske zwischen sich und sein Publikum zu halten, er scherzte, er neckte - aber er ließ sich nicht in die Karten schauen. Nur Malvine. Die Geschichte mit Malvine. Die paßte nicht ins Bild. Das Archiv in Berlin half nicht weiter, die Literaturfachleute in Frankfurt wußten nichts. Julia schrieb Briefe und erhielt enttäuschende Antworten. Nichts. Sie redete mit Anne Bult darüber. Anfangs hatten sie geglaubt, Malvine sei womöglich eine Erfindung Ladesteins gewesen, eine Figur wie die Laura in den Gedichten von Schiller -

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