Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
funkelte violett, als sie sich auf den Weg zu Mariannes Restauration machten. Sie hatten den Küstenweg gewählt, passierten dunkle Weiden und schraken zusammen, als plötzlich ein Pferdewagen vor ihnen auftauchte: Hansi und Pepe, die stämmigen Pferde des Müllkutschers, trabten an ihnen vorbei. Niemand saß auf dem Kutschbock: Wagner, der Einarmige, schnarchte hinten auf dem Wagen seinen Rausch aus; die Pferde fanden den Weg allein. Jämmerlich quietschten die Räder, als sich der Wagen in die Kurve legte.
    »Wenn das man gutgeht!«
    »Wird schon!«
    Der alte Weber schloß sich ihnen an, ausnahmsweise zu Fuß, mit seinem sanftmütigen Hund, dessen Schlappohren unternehmungslustig schwangen. Das früher nougatfarbene, kurze Fell des Rüden war längst von Grau durchzogen, die Schnauze eisweiß. Goldnüssens Hunde fielen Julia wieder ein, die »Nutella-Hunde« der Kindheit. Sie rieb sich die Arme warm. Webers Hund gab ein kurzes Bellen von sich, dann stromerte er los, strich bald hinter ihnen, bald vor ihnen vorbei. Sie gingen schweigend, den schmalen Weg zum Strand, jeder für sich. Das Frösteln der Kindheit hörte nie auf; das Verlorensein.
    Das Meer lag da wie ein samtener Mantel. Am Himmel hatten sich Wolken aufgetürmt, sie schraubten und wanden sich in bizarren, nach oben hin immer dunkler werdenden Schneckenformen in den Nachthimmel. Nach unten, zur See hin, ging das Anthrazitfarbene, Bedrohliche über in ein imposantes Tintenblau. Das Meer selbst zeigte sich völlig unbewegt, dunkel und still. Am Strand liefen Reihen kugelrunder Steine auf den Seesaum zu, eng nebeneinander geduckt, als fürchteten sie sich vor dem schwarzen, eisigen Wasser. Nicht weit vom Strand entfernt hatten Fischer ihre Boote festgemacht, im Vertrauen auf die nächtliche Ruhe.
Die Boote begrenzten das Bild. Es war, als zwängen die Steinreihen die Spaziergänger näherzukommen, als gäbe es keinen anderen Weg als diesen hier - direkt ins Wasser, direkt in den kältesten Tod. Und so war es ja: Steuern wir doch unaufhaltsam auf ein unbekanntes, tiefes Ende hin. Größer, weiter und voller ist dieses vor uns liegende Totenreich als alles, was uns zur Zeit noch ablenkt davon …
    Julia wurde plötzlich bewußt, daß sie sich mit ihren siebenundzwanzig Jahren nicht mehr für unsterblich halten konnte, so wie früher, wie vor einigen Jahren noch. Damals hatte es den Tod nur als eine abstrakte Größe gegeben, etwas, das mit Erdbeben in Armenien zu tun hatte oder Flutkatastrophen in Florida; berechenbar überfiel er alte Menschen oder manchmal, wie aus Versehen, einen jungen bei einem Unfall... Er betraf sie nicht, sie bedachte ihn nicht. Mit dem Hochmut der Jugend schloß sie den Tod aus ihrem Leben aus. Sie hatte die Macht, nur an das Morgen zu denken. In der Tat dachte sie fortwährend nur an ein Morgen, an die Zukunft, die sie gewiß schlanker, schöner, sicherer machen würde. Morgen würde alles anders werden, ohne daß sie genau hätte sagen können, wie es denn aussehen würde, dieses erwartete, dieses erhoffte andere. Und darum begann es auch nie: das Leben.
    Und da stand sie nun, und vor ihr leuchtete der Tod. Einladend und grausam. Er hatte es nicht eilig. Er wartete ab. Das war nicht der Tod, der im Vorbeigehen einen Alten mitnahm, der routiniert und unlustig mit verschiedenen Krebsarten, Schlaganfällen und unheilbaren Krankheiten quälte - was sie da sah, war der unverstellte Tod. So, wie wir ihn sonst nie ansehen, weil wir nicht innehalten. So, wie er uns jedoch immerzu betrachtet, abschätzig, prüfend, Zeit und Stunde berechnend. Sie fühlte sich gemustert. Sie fürchtete sich. Sie wollte fort.
    Die Wolken am Himmel drifteten nun auseinander und
gaben ein kleines Stück des unscheinbaren Mondes frei. Dessen blasses Licht erreichte das Wasser, und sofort zog sich ein silberner Streifen durch das Meer, eine Lichtsignatur, fein und unsicher wie die tägliche Hoffnung.
    »Das ist immer so, wenn man verliebt ist - unglücklich verliebt!« sagte Anne plötzlich in Julias Gedanken hinein und zog sie mit sich fort.

    »Arrh-rrrrrrr-harrr!« Webers Hund kam angetobt, den Kopf wild hin- und herwerfend. Er hatte »Beute gemacht«, einen dicken Quallenballen schleppte er im Maul und »betäubte« die gefährlichen, wilden Tiere nun durch kräftiges Schütteln. Die Quallen waren lange schon vertrocknet, Sand rieselte heraus, wurde nach allen Seiten geschleudert.
    »Harrhhh!« Harry war sichtlich enttäuscht, als das erwartete,

Weitere Kostenlose Bücher