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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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los, stapfte weiter, trat ins Leere, versank bis zur Wade im Modderwasser.
    Sie schrie auf. »Alles in Ordnung?«
    Frau Bult wollte es nicht wirklich wissen. Sie war auch gar nicht stehengeblieben. Das Stöhnen wurde lauter, kam näher. Und dann sahen sie etwas aufleuchten, knapp über dem Boden: eine Pferdemähne. Die Mähne der Falbenstute. Die Stute lag. Sie war seitlich in einen Graben gestürzt und hatte in ihrer Panik so heftig um sich getreten, daß sie nun völlig verkantet im Graben steckte. Der Graben war mit Wasser gefüllt. Und jedes Mal, wenn die Stute sich bewegte, sank ihre Schulter tiefer ein.
    »Ruhig, Leila, ruhig...«
    Frau Bults Stimme war mehr ein Flüstern, und trotzdem riß die Stute den Kopf furchtsam empor und begann wieder, um sich zu treten.

    »Ruhig!«
    Frau Bult wandte sich an Julia. »Verdammt noch mal, ausgerechnet Leila! Willems beste Stute, aber ein völlig verrücktes Tier! Nicht zu bändigen.«
    Julia trat vorsichtig näher. Der Bauch des Pferdes hob und senkte sich, die Augen waren verdreht vor Anstrengung. Das Pferd war triefend naß, ob vom Wasser des Grabens oder vom eigenen Schweiß, war nicht zu erkennen. Ein Vorderhuf war merkwürdig angewinkelt.
    »Darauf scheint sie gestürzt zu sein«, kommentierte Frau Bult kurz und fachmännisch. »Kann sein, daß der gebrochen ist. Muß aber nicht.«
    »Was machen wir bloß?« fragte Julia verzweifelt.
    »Wir? Gar nichts. Wir können hier gar nichts machen. Da müssen Fachleute ran. Ich bleibe hier bei dem Tier, und Sie holen Willem und die anderen. Sie sollen Denver mitbringen, zur Beruhigung - und am besten gleich noch den alten Weber mit seinem Traktor, vielleicht kriegen wir die Stute damit raus.«
    Julia hörte nur, daß sie zurück sollte. Allein. Durch diesen Wald, der ihr so unendlich vorkam wie der Regenwald, obwohl man ihn doch in einer guten Stunde umrunden konnte. Aber jetzt sah sie den Weg nicht mehr, ja, sie konnte sich nicht einmal mehr vorstellen, wo er gewesen war.
    »Ich, ich, also ich...«
    »Sie haben doch wohl keinen Schiß?!«
    Frau Bults Stimme klang ein wenig schärfer als sonst. Julia wollte sich verteidigen, wollte sagen, daß es ihr gutes Recht war, so viel »Schiß« zu haben, wie sie eben wollte, denn schließlich war sie eine wissenschaftliche Angestellte, kein Gaucho, und sie wollte, verdammt noch mal, auch keiner sein... Und... Sie fürchtete, gleich weinen zu müssen …
    »Mist. Entschuldigung«, sagte Frau Bult plötzlich, und es klang wie »Misschuldigung« in der Eile. »Natürlich haben
Sie Schiß. Ich habe auch die Hosen voll, denn dieses Vieh hier ist ganz schön meschugge.«
    Sie schlang beide Arme um ihren Oberkörper.
    »Gut. Ich werde also zurückgehen. Sie bleiben hier und versuchen irgendwie, die Stute bei Laune zu halten. Immer auf sie einreden, leise, versteht sich. Ich hole die anderen.«
    Sie war fort. Julia stand allein. Es wurde plötzlich ganz still.
    Sie warf einen Blick hinüber zu dem Tier; es war ruhiger geworden, während Frau Bult mit ihr gesprochen hatte, aber nun versuchte es wieder, sich hin und her zu wenden, es begann, den Kopf zur Seite zu werfen - jämmerliche kleine Versuche, aufzustehen, aber sie führten offenbar nur zu größerer Angst, denn im Dunkel konnte Julia jetzt wieder das Weiße in den Pferdeaugen leuchten sehen, Angstaugen, kurz vor einer Panik stand diese Stute.
    Warum nur habe ich keine Möhren dabei? dachte Julia und mußte im selben Augenblick hysterisch über sich selbst lachen. Möhren! Mitten in der Nacht! Wo hätte sie die auch hernehmen sollen? Macadamia-Nüsse - die vielleicht, aber in ihrer Jackentasche krümelte es nur salzig und feucht.
    Die Stute hatte aufgehorcht. Julias Lachen hatte sie nicht erschreckt, im Gegenteil, sie hatte mit dem sinnlosen Hinund Herwerfen innegehalten. Julia schöpfte Hoffnung. Vielleicht, wenn sie auf das Tier einredete, wie man es bei Kleinkindern mit Bauchschmerzen machte, so, daß zumindest die eigene Furcht und Sorge ein wenig abnahm? Sie merkte gar nicht, wie sie immer weiter auf die Stute zuging, leise redend, unzusammenhängende Sätze, Wörter einfach, deren warmer Klang ihr gefiel. Jetzt, ausgerechnet jetzt hatte sie Gelegenheit, ihr Wörter-Sammelsurium anzubringen:
    »Schöne, feine Stute, Samtschnauzen-Leila, ei-joh-ho... Gutes Mädchen, Leuchtmähne du, ruhig, nono-lo...«
    Ihre Stimme wurde fester. Der Regen rauschte.

    Als Frau Bult mit den anderen zurückkehrte, mit Lampen, Seilen, dem Wallach Denver

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