Ostseeliebe
Aber: Was für einen Knoten sollte sie nun...
Es patschte plötzlich neben ihr im Graben: Der Tierarzt war einfach in den Schlamm gesprungen und nahm ihr behutsam das Seil aus der Hand.
Leila zuckte nur ein bißchen.
»So, warte mal. Gleich hast du’s geschafft.«
Meinte er sie? Meinte er die Stute? Er griff plötzlich nach ihrer Hand:
»Gutes Mädchen!«
Man konnte wirklich nicht unterscheiden, ob er Menschen
oder Pferde ansprach. Sie entdeckte viele kleine Falten um seine Augen herum.
»Los jetzt!«
Minarek sprang aus dem Graben.
»Sobald wir die Stute ein bißchen angehoben haben, ziehst du hier Leine, klar?«
Er schaute Julia mit einer Miene an, die wohl streng sein sollte, aber der Regen verwischte alles, und sie war plötzlich so müde.
»Ja …«
Die Seile wurden verknüpft und am Traktor befestigt. Der wendete. Und dann fuhr Johannsen an, so sanft, wie er nur konnte. Und der Motor ging aus. Und sprang wieder an. Und es ruckte ein bißchen, und Julia bekam plötzlich Angst, und alle schrien hysterisch:
»Mann, paß doch auf!«
Und Frau Bult stürzte zu Julia hin, und Leila wieherte verzweifelt. Denver begann, nervös zu tänzeln. Ein neuer Versuch. Die Stute zuckte, versuchte auszuschlagen - und Julia war frei. Sie rollte sich mit steifen Beinen über den Grabenrand, wo Anne Bult schon wartete.
Sie schafften es. Sie befreiten Leila. Die Stute wurde aus dem Graben gezogen, die Stute stand. Zitternd, aber sie stand. Minarek tastete ihre Beine ab. Den Leib. Ließ sich Zeit dabei. Johannsen wartete stumm daneben.
Schließlich richtete sich der Tierarzt auf. »So weit ich das hier beurteilen kann, Willem: alles in Ordnung. Nur ein paar Schürfwunden. Aber fix in den Stall mit ihr, Decken drauf, aber stell sie nicht zu den anderen, ich will sie mir noch mal in Ruhe ansehen.«
Auch die anderen Stuten waren gefunden worden, unten, am Waldrand. Julia hörte es kaum, so müde war sie. Und dann fuhr der alte Weber im Traktor voraus, und die anderen taumelten abwärts, alle zusammen. Frau Bult, die Denver
führte, als hätte sie nie etwas anderes getan, Johannsen mit Leila am Halfter, dann der Tierarzt, Julia, Jan und Renate, Arm in Arm, teils vor Schwäche, teils vor Erleichterung. Und sie redeten dummes Zeug, und Minarek konnte auch lachen, leise jedenfalls, und legte seinen Arm fest um Julias Schultern, und die wußte plötzlich, daß sie diese Nacht nicht wieder vergessen würde.
Meine sehr liebe, unvorsichtige Freundin, das glaube ich, daß Du diese Nacht nicht vergißt - obgleich ich Dir, offengestanden, etwas andere »Ereignisse« gewünscht hätte als ein durchgehendes, halbverrücktes Pferd! Nach Deiner Stimme am Telefon zu urteilen, solltest Du zur Zeit auch eher heißen Holundersaft oder bestenfalls Tee mit Rum probieren statt den Champagner, mit dem ich Deinen Osttrip gesponsert hatte. Heb ihn auf, bis ich komme!! Du könntest jeden Wildwest-Schurken synchronisieren, so wie Du brummst. Schöne Erkältung!
Nun ja, ich denke, Du willst gar nicht von mir aufgezogen werden, stimmt’s? Und deswegen hast Du mich auch gar nicht angerufen, richtig? Eher weil Dir nach Deiner Heldentat vom Donnerstag so richtig schummerig geworden ist. Hinterher. Kann ich verstehen. Ich finde es auch wahnsinnig, was Ihr da so treibt, ganz ehrlich. Von Deiner Frau Bult hätte ich etwas mehr - protestiere Du nur, ich bin schließlich vier Tage älter als Du und in jedem Fall viel vernünftiger -, von Frau Bult also hätte ich mehr Verantwortungsgefühl erwartet.
Ein altmodischer Begriff, ich weiß. Aber schließlich ist sie derzeit so etwas wie Deine Vorgesetzte, und in Deinem Arbeitsvertrag sind nächtliche Rettungsaktionen von Stuten bestimmt nicht vorgesehen. Wie konnte sie Dich nur in eine solche Situation bringen!?!
Jaja, ich weiß, Du kennst Pferde, hattest als halbwüchsiges
Blag auch mal Reitstunden, so wie jedes Mädchen, das einigermaßen bei Verstand und noch mehr bei Gefühl ist. Und wir alle haben uns dann in den jeweiligen Reitlehrer verknallt, weil die Grenze zwischen Mensch und Tier und Natursehnsucht und Erotik so seltsam verschwamm - eine Erotik, zu der die Reiterei aus Gründen, die ich auch nicht kenne, eine verborgene Tür öffnet. Geschenkt. Aber Du, ma chère, Du bist mittlerweile eine Stadtfrau, ein Mensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Du gehst einfach nicht mehr täglich mit solchen Viechern um, wenn sich auch Dein Verstand und mehr noch Dein Gefühl an diese lieben, warmen, ewig
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