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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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und der Nachricht, daß der alte Weber seinen großen Traktor holte, bot sich ihr folgendes Bild:
    Im Graben lag, auf der rechten Seite, die verunglückte Stute, schweißnaß, schweratmend, aber ruhig. Julia saß neben ihr, sie lag eigentlich mehr, und ihr rechtes Bein hatte sie unter den Kopf des Pferdes geschoben, so daß dieser nicht noch weiter absinken konnte. Frau Bult erschrak. War Julia ausgerutscht und im Fallen unter die Stute geraten? Aber nein, Julia konnte sich frei bewegen. Kein Zweifel, sie hatte sich selbst in diese äußerst gefährliche Lage gebracht.
    »Julia, ich bitte Sie...«
    »Alles in Ordnung, Frau Bult«, rief Julia, und es klang geradezu fröhlich.
    Die Stute hatte den Kopf ein wenig angehoben, als die Menschen näherkamen, aber zu mehr reichte ihre Kraft offenbar nicht mehr.
    »Was haben Sie mit ihr gemacht?« fragte Frau Bult fassungslos.
    Julia schaute sie an. Das sah man doch, was sie gemacht hatte, nämlich das einzig mögliche. Ihr rechtes Bein, das vor einiger Zeit alles Gefühl verloren zu haben schien, kribbelte jetzt wieder heiß und unangenehm. Die Stute zuckte, Julia beugte den Kopf zu ihr herunter:
    »Leila-Akelei, braves Mädchen...«
    »Himmel, Arsch und Zwirn, was macht denn diese Verrückte da im Graben!«
    Ein gewaltiges Mannsbild war zwischen den Bäumen aufgetaucht. Finster, zornig. Die Stute fuhr heftig zusammen.
    »Verdammt noch mal, Anne, wer hat der denn erlaubt, hier herumzuhocken...« Und, zu Julia: »Seien Sie bloß vorsichtig, wir kommen gleich zu Ihnen.«
    Natürlich, der Tierarzt. Hanno Minarek. Der hatte ihr
weiß Gott noch gefehlt. So würdevoll wie möglich antwortete sie also:
    »Mit mir ist alles in Ordnung, Herr Doktor. Es ist nicht, wie Sie annehmen...«
    »Oh Gott, nun fängt sie auch noch das Diskutieren an!« Minarek wandte sich an Anne Bult, als existierte Julia gar nicht.
    »Los Anne, sagen Sie ihr, daß sie ihren dicken Hintern da rausbewegen soll.«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte Julia spitz. »Und schon gar nicht, bloß weil es Ihnen einfällt. Wenn ich mich nämlich hier rausbewege, muß Leilas Kopf anders gestützt werden, sie sackt sonst ab, und dann...« Sie wies auf den Graben. Nur ärgerlich, daß ihre Stimme zitterte.
    Der Tierarzt kam näher. Die Stute bewegte sich.
    »Nanana, Gute...«
    Aha, also konnte auch Herr Doktor in normaler Lautstärke, ja sogar sanft sprechen.
    »Holla, meine Gute, so ist’s brav...«
    Er kam näher. Er war triefend naß, so wie sie alle, Julia bemerkte es mit Genugtuung. Das Wasser rann von dunkelblonden Haarsträhnen in seinen dicken Mantel. Er ging in die Hocke, nun direkt vor ihr und der Stute und schaute sie an: »Schöner Schlamassel!«
    Was meinte er damit? Julia beschloß, das Nachdenken auf später zu verschieben. Sie hörte das Rumpeln eines Fahrzeugs im Wald. Der Traktor kam näher, das Licht seiner runden Scheinwerfer fiel durch die Bäume. Die Stute kümmerte es nicht. Landmaschinen war sie gewöhnt.
    Willem Johannsen bugsierte Webers Traktor so nah wie möglich an den Graben. Es stank gehörig, aber Julia kam der Diesel vor wie ein milder Duft. Geschäftigkeit machte sich breit.
    Sie faßten alle mit an. Johannsen hatte stabile Seile mitgebracht.
Die wurden, ganz vorsichtig, um die beiden erreichbaren Hufe gezogen, um Leilas Hals. Dann kam das Schwierigste: Auch um den kugelrunden Bauch der Stute mußte ein Seil befestigt werden, irgendwie. Julia angelte nach einem Ende.
    »Los, her damit.«
    Jetzt war ihr plötzlich alles egal. Die ganze Zeit über hatte sich Leila brav verhalten, warum sollte sie nun plötzlich auf die Idee kommen, sich auf sie zu wälzen oder einfach kräftig zuzubeißen ohne weitere Vorwarnung? Tatsächlich war Leila zu erschöpft, um sich an ihre frühere Wildheit auch nur zu erinnern. Sie stöhnte bloß, als Julia sich an ihrem Leib zu schaffen machte, ihren linken Arm unter den Rücken des Pferdes schob, um dann - vorsichtig, vorsichtig - mit dem rechten Arm von unten her, vom Bauch her, nach dem Seilende zu angeln.
    »So, Brave, gleich haben wir’s hinter uns.«
    Es war ganz still geworden. Julia glaubte, neben dem Rauschen in ihren Ohren sogar das Geräusch einzelner Regentropfen unterscheiden zu können. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sich niemand bewegte: Anne Bult nicht, Johannsen nicht, der alte Weber nicht, die vorwitzigen jungen Leute nicht, und selbst der dämliche Doktor hielt ausnahmsweise einmal den Mund. Da! Sie hatte das Ende zu fassen bekommen.

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