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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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zwischen Mittelund Ringfinger, und begann sie dann sachte zu drehen. Das wollte geübt sein, aber Julia beschäftigte sich gern damit. Es beruhigte sie. Beim Briefelesen, beim Studium trockener Archivseiten. Oder wenn sie einfach nur so dasaß und nachdachte. Einer Veränderung nachspürte. Vorläufig machte die sich nur in losen Hosenbündchen bemerkbar und in sinkendem Appetit. Wie lange hatte sie den kleinen Fernseher nicht mehr eingeschaltet, der oben auf dem Kühlschrank stand? Seit Wochen nicht... Es klopfte.
    In der Tür stand Frau Bult, und hinter ihr drängte Willem Johannsen. Fast hätte sie ihn nicht erkannt, so ordentlich gescheitelt war er, und wenn sie nicht alles täuschte, schob sich da auch ein Duft aus der Herrenabteilung einer Parfümerie in den Raum. Frau Bult kam ohne Umschweife zum Thema.
    »Herrn Johannsen kennst du ja bereits. Er ist vorbeigekommen, um sich zu bedanken.«
    Seit der stürmischen Nacht waren sie zum »Du« übergegangen. Es war nicht darüber gesprochen worden, es war selbstverständlich. Und nun hatte Anne Bult mit ihren zwei nüchternen Sätzen bereits alles vorweggenommen, was
Willem zu sagen gewußt hätte. Der drehte einen Hut, den er nicht hatte, in den Händen.
    »Ja, Frolleinchen...«
    Julia wußte auch nicht weiter. Schüchternheit, und noch dazu die von Menschen, die älter waren als sie, wirkte ansteckend auf sie. Immerhin erhob sie sich, machte so etwas wie eine grüßende Geste und hustete eher, als daß sie sprach:
    »Aber das war doch selbstverständlich...«
    »Naja, aber so ein Frolleinchen aus’m Westen und dann noch aus der Stadt... Nix für ungut, aber...«
    »Bielefeld ist gar nicht so groß.«
    Jetzt hustete sie wirklich. Kein guter Tag für langatmige Erklärungen.
    »Böse Erkältung. Kommt von unserem nächtlichen Ausflug«, kommentierte Anne Bult.
    Jetzt wurde Johannsen lebendig.
    »Haben Sie es schon mal mit Sanddornwickeln probiert, Frolleinchen? Meine Großmutter schwor darauf! Natürlich«, er grinste, »kann man das Zeug auch inwendig anwenden.«
    Er klopfte sich auf die Brust.
    »Hilft auch und macht mehr Spaß. Und deshalb bin ich eigentlich auch hergekommen. Also, um es kurz zu machen: In der Scheune ist ein Tisch für uns alle reserviert, und wenn wir nicht hinmachen, dann werden den andere Gäste kriegen, da kennen die nischt! Die sind auf unsereinen schließlich nicht angewiesen.«
    »Willem, nun mal sachte. Willst du hier wieder zum Klassenkämpfer werden, oder wollen wir einfach mal los?«
    Anne Bult war pragmatisch wie immer. Julia sah besorgt an sich herunter - und hustete, kaum, daß sie den Kopf gesenkt hatte. Überhaupt: der Kopf. An den mochte sie gar nicht denken! Verquollene kleine rote Waldbeeren versteckten
sich in den Lidfalten, wo früher einmal die Augen gewesen sein mochten. Die Nase triefte, und die Haut über den Lippen hing bereits in Fetzen. Na großartig! Die Haare? Nicht auszudenken!
    Sie schob sich an Johannsen vorbei ins Bad. Der Blick in den Spiegel machte alles nur noch schlimmer. Jeanette, ja, Jeanette, die würde sich jetzt gekonnt irgendein Tuch um den Kopf wickeln und sähe gepflegt und sogar ein bißchen exotisch aus. Julia wirkte mit Tüchern bloß wie eine aserbaidschanische Bauersfrau - jedenfalls stellte sie sich die so vor, und außerdem hätte sie in der Eile gar nicht gewußt, wo sie ihre Schals versteckt hatte. Es hatte sie nicht gekümmert in letzter Zeit. Es war zum Verzweifeln!
    Zwanzig Minuten später machten sie sich auf den Weg: Frau Bult in einem moosgrünen Kleid, das sie bestimmt »für solche Fälle« stets ordentlich im Schrank hängen hatte. Willem Johannsen, der unter seinem Regenmantel offenbar so etwas wie einen Anzug trug, nach seinen eckigen Bewegungen zu urteilen - und Julia, Julia im »Kleinen Schwarzen«, das leider eher ein »großes Schwarzes« war, keine Ärmel hatte und bedenklich an ihr herumschlotterte. Nun, erkältet war sie ja schon!

    Kunstvoll gehobelte Tische, messingfarbene Wandlämpchen, ein Fußboden mit großen, hellgelben Kacheln, eine mächtige, blankpolierte Theke, die aussah, als wäre daran noch nie ein Bier gezapft worden. Aber das war ein Irrtum: Gut ein Dutzend halbgefüllter Krüge wartete auf die nächste Runde. Die Scheune roch nach Holz und nach den Menschen, die den großen Schankraum bereits gut gefüllt hatten, schwatzten und rauchten und deren nasse Mäntel an der Garderobe hingen - und trotzdem atmete man nicht das Land oder den Wind oder das Dorf. Der

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