Ostseeliebe
begann Julia. »Und Sie?«
Hilda Minarek zuckte mit den Achseln. Himmel, wenn das ihre Art war, auf ein Gesprächsangebot einzugehen, mußte sie sich freilich auch nicht wundern... Julia rief sich zur Ordnung.
»Wo sind denn Leo und Schorsch? Sie sind doch nicht zu Pferde gekommen?«
Hilda Minareks Miene hellte sich auf.
»Die beiden sind da, wo sie hingehören, im Stall, mit wahrscheinlich ganz kugelrunden Bäuchen. Wenn wir abends mal ausgehen« - Julia konnte geradezu heraushören, wie selten das war - »dann muß Hanno ganz sicher sein, daß keines der Tiere inzwischen verhungert oder verdurstet. Wir könnten ja entführt werden oder mit dem Fahrrad im Hafenbecken landen oder nach Dänemark schwimmen.« Sie lachte auf. Dann fuhr sie fort: »Aber woher wissen Sie denn die Namen? Sie interessieren sich wohl für Pferde? Von Ihren Heldentaten habe ich ja schon gehört. Hanno ist voll des Lobes!«
»Hanno ist voll des Lobes!« - ach ja?! Als er seinen Namen hörte, schaute er kurz zu Julia und Hilda hinüber. Sein Blick verriet Unsicherheit. Julia war überrascht.
»Nun übertreib man nicht, nun übertreib man nicht, Hilda!« sagte er und klopfte ihr kurz auf die Schulter, bevor er sich wieder Ranges und Schucks Gesprächen über Schiffe zuwandte.
»Na, so doll war’s nicht«, winkte Julia ab. »Sagen Sie mir lieber, wo Sie Ihre Handschuhe herhaben! Nach Tierarztpraxis sehen die nicht aus!«
»Die Handschuhe? Die sind Ihnen aufgefallen?« Hilda strahlte geradezu. »Die habe ich aus Hamburg!«
Das sagte sie so triumphierend, als hätte sie sie höchstpersönlich in der Werkstatt eines berühmten Couturiers in Mailand oder Paris anfertigen lassen.
»Ich habe sie in einem Laden in den Kolonnaden gekauft.«
So genau hatte Julia das nicht wissen wollen. Bestimmt folgte jetzt eine lange und ermüdende Geschichte über wochenendliche Einkaufsorgien in der großen Stadt.
»Das war, als ich in Hamburg mein Praktikum gemacht habe, müssen Sie wissen. Ich war fast ein halbes Jahr dort, und es war eine schöne Zeit...«
»Jaja, fast wäre uns Hilda abhanden gekommen!« mischte sich Hanno Minarek ein.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie auch einen Beruf gelernt haben?« Sofort kam Julia sich töricht vor. Wenn das DDR-System einen Vorteil gehabt hatte, dann den, daß auf die Ausbildung von Frauen nicht nur auf dem Papier großen Wert gelegt wurde. Selbstverständlich hatte Hilda Minarek einen Beruf, auch wenn sie ihn auf dieser Insel wahrscheinlich nicht ausüben konnte.
»Entschuldigen Sie, das war blöde von mir.«
»Nein, nein, schon gut, die Mode-Designerin kann man mir ja auch unmöglich ansehen, nicht wahr? Oder hätten Sie’s geraten?« Dann erzählte Hilda Minarek, wie sie eine Ausbildung als Schneiderin gemacht und sich zur Meisterin emporgearbeitet hatte. Sie hatte gelernt, wie man Schnitte vereinfacht, hatte Arbeitskleidung, Uniformen für die Hostessen der Leipziger Messer entworfen und war schließlich, auf Umwegen, ans Theater gekommen.
»Da konnte ich endlich mal drauflosschneidern! Das Material war zwar immer knapp, aber mit’n bißchen Organisieren ging das alles. Und plötzlich mußte es nicht mehr zweckmäßig sein, jedenfalls nicht nur!«
Sie erzählte ausführlich von ihrem ersten Bajazzo, vom Papageno-Kostüm für eine kleine Oper, von der aufregenden Zeit in der Theaterprovinz. Julia hatte keine Ahnung gehabt, wie lebendig die Theaterszene abseits der großen Bühnen gewesen war.
»In Berlin war man doch dauernd unter Beobachtung. Aber hier - also ich meine in Stralsund oder in Anklam - da konnte man so ziemlich machen, was man wollte, ohne daß dauernd die Sicherheit hinter einem her war.«
Die Wende hatte Hilda noch einmal Glück gebracht: Sie bekam einen Studienplatz für Mode-Design. Und dann das Praktikum. Hilda Minarek veränderte sich, während sie sprach. Sie war immer noch die elegante Blondine, aber ihre Gestik wurde weniger kontrolliert. Als sie vom Theater erzählte,
begann sie sogar, Grimassen zu schneiden, um bestimmte Lokalgrößen nachzuäffen - und lachte selbst am lautesten über ihre Witze. Die Gute verliert ein bißchen die Fasson, dachte Julia, und es steht ihr gar nicht schlecht. Voller Ironie erzählte Hilda, wie abgerissen und schäbig sie sich damals - kurz nach der Wende - in Düsseldorf vorgekommen sei, auch, weil sie glaubte, die ganze Bundesrepublik bestünde aus einer einzigen riesigen Einkaufsmeile mit ein paar »äußeren Ringen« von Asylbewerberheimen
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