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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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sie eigentlich gar nicht mehr, weil ihr Magen so flatterte, warum, konnte sie nicht sagen. Und Anne Bult zog wieder eine Augenbraue hoch, und die Leute lachten, und sie hörte, wie Renate leise zu Jan sagte, für’ne Stadtgans sei das Mädchen gar nicht so übel.
    Schließlich hatten alle ihr Essen bekommen, Servietten
wurden aufgeschüttelt wie Bettlaken, Bestecke seufzend gehoben, in Erwartung des schweren Kampfes, der vor ihnen lag.
    »Mahlzeit!«
    Es summte wieder in Julias Kopf, wofür sie unmöglich nur die Erkältung verantwortlich machen konnte. Es summte, aber gleichzeitig hörte sie Geräusche schärfer, deutlicher und näher als sonst. Es war, als wäre sie vollkommen durchlässig geworden für alle Wahrnehmungen. Am Nebentisch raschelte es. Sie hörte eine Frau schlucken und wußte, ohne hinzuschauen, daß sie ihr Weinglas leerte. Ein Mann schlug die Füße übereinander, nur die Füße. In der fernen Küche wurden offenbar Teller gestapelt. An der Theke polierte eine Kellnerin die Weinpokale, daß es quietschte. Julias Aufmerksamkeit wanderte zum Tisch zurück. Anne Bults aschblonde Haare leuchteten unter der Messinglampe, sie lachte mit Willem über irgend etwas. Renate tuschelte mit Schuck, die beiden steckten die Köpfe zusammen, und Renate merkte gar nicht, daß sie ihre Gabel neben sich auf dem Tisch aufgepflanzt hatte wie eine Lanze. Der alte Weber nestelte an seiner Serviette: Heimlich ließ er ganze Fleischbrocken darin verschwinden, packte sie ein, ließ das Paket verschwinden. Gau und Range kauten mit vollen Backen gegen ihre Grillplatten an, nebenbei fröhlich die Salatteller verwüstend. In ihren Bewegungen schienen sie sich abgesprochen zu haben: voller Teller, Gabeln links, Salatschüssel, Gabeln rechts, weiter... Besteckballett, leises Klappern. Wunderbar sanft kamen Julia plötzlich all diese Geräusche vor, fein harmonisch wie eine eigens geschaffene Musik.
    Ein Mann schaute sie an. Ihre Augen begegneten den seinen. Hanno hatte sie noch nie angeschaut. Nicht so. Meinte er wirklich sie? Er meinte sie. In seinen Augen las sie ein leises Lächeln, ein Verstehen, in seinen Augen …
    »Na, Frolleinchen, schmeckt’s?«

    Willem hatte sich angepirscht und schlug ihr nun, nicht eben sanft, auf die Schulter.
    »Iß man weiter, wollte nur sehen, ob es dir gutgeht.«
    »Aber ja doch, Willem, danke dir, mir geht’s wunderbar!«
    Das stimmte. Und unwillkürlich hatte auch sie ihn geduzt. Sie fühlte sich aufgenommen, sie lehnte sich an Willems behaglichen Bauch und hätte am liebsten geschnauft wie ein zufriedener Säugling.
    »Ach, Willem! Was für ein schöner Abend!«
    Willem machte so viel Überschwang ganz verlegen.
    »Nun mach mal halblang!’n bißchen oberfein find’ ich’s hier schon!«
    »Wir können ja noch, ja noch woanders hingehen, woanders!«
    Das war der Tierarzt. Merkwürdig, wie der immer ganze Worte wiederholte. Nein, nicht immer, nur wenn er unvermittelt in einer größeren Runde zu sprechen begann. Es war auch kein Stottern, es war eher ein Sich-Vergewissern im Sprechen, als würde Unsicherheit durch Wiederholung beseitigt. Natürlich schaute er jetzt nicht sie an, sondern in ein Irgendwohin, seine Rede richtete sich auch nicht an jemanden bestimmtes, sondern an irgendwen.
    »Na, Patienten hast du ja wohl heute keine mehr!«
    »Und auch keine Passagiere!«
    »Na, für die würd’ er uns wohl glatt hier sitzenlassen!«
    Das war Wolters, und seine Stimme hatte etwas unangemessen Scharfes. Minarek und Hilda horchten beide auf.
    »Das Fuhrgeschäft ist für heute dicht!« sagte Minarek, »für heute dicht, und dabei bleibt’s!«
    »Und nur kein Neid!« ergänzte Hilda, deren Tonlage jetzt eindeutig schrill war.
    Julia war zu verwirrt, um weiter auf solche, wie es ihr schien, kleinen Reibereien zu achten. An einem der Nebentische war ihr eine Frau aufgefallen. Die ganze Zeit über
hatte sie dagesessen, einen Kaffee vor sich und ein Glas, das mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt war. Whiskey? Cognac? Dieses Glas hatte zuerst Julias Aufmerksamkeit erregt, denn üblicherweise tranken die Leute hier Sanddornschnaps in allen möglichen Varianten und Bier natürlich. Aber diese Frau dort trank etwas anderes, und sie war allein. Sie wirkte nicht wie eine Fremde, sondern ging mit der Scheune und ihren Annehmlichkeiten ganz selbstverständlich um; auch schien es niemanden zu kümmern, daß sie nichts aß. Sie war in Schwarz gekleidet, eine eher gedrungene Frau, mit einem zu groben

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