Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
Eigentlich dienten sie der Massage ihrer vom stundenlangen Arbeiten am PC verkrampften Hände, sollten helfen, zu einer inneren Ausgeglichenheit zu finden, und übten auch die Beweglichkeit der Finger. Aber diesmal brauchte Julia sie zur Ablenkung, als Zigarette, die sie nicht rauchte, als Cocktailglas, an dem sie nicht nippen konnte. Sie fuhr sich mit der Bürste durch die Haare, die ungehindert wuchsen, seit sie hier angekommen war. Sie würde ihn treffen, gleich.

    Jeanette hatte recht mit ihrem Brief, wie meist, und doch nahm Julia ihn übel, nicht so sehr wegen der unangenehmen Erinnerungen - Julia wußte nur zu genau, daß das Verhältnis zu Hal weitgehend Jeanettes Beschreibung entsprochen hatte -, nein, was sie verdroß, war, daß diese Vergangenheit durch Jeanettes Brief Eingang auf die Insel gefunden hatte. Sie wollte die Vergangenheit hier nicht haben. Hier war Jetzt, und es fühlte sich gut an einstweilen.
    Sie nahm es Jeanette übel, daß sie an die Vergeblichkeit von Zuversicht erinnert hatte, an den Hochmut, den man braucht, um wider alle Vernunft und Erfahrung doch zu hoffen. Sizilien zum Beispiel. Der Jüngling zum Beispiel. Von Marsala aus war sie mit einem Boot zur Insel San Pantaleo gefahren. Was für eine heitere Überfahrt war das gewesen, so ganz anders als ihre Reise auf diese Insel hier! Warm war es gewesen, noch bis weit aufs Mittelmeer hinaus hatte sie der selbstsichere Gesang der Vögel begleitet, und der Schiffsführer hatte tatsächlich fröhlich ein Lied angestimmt, sobald sie abgelegt hatten. In der Ferne glitzerte es: Das waren die Salinen von Mózia, wie San Pantaleo von den Einheimischen genannt wurde. Das Boot fuhr an imposanten, schneeweißen Salzbergen vorbei, deren Helligkeit in den Augen brannte. Hier wurde gearbeitet, seit die Phönizier den Reichtum der Insel entdeckt hatten. Julia schloß die Augen. Es war, als würde sie in ein Zwischenreich geleitet, eine andere Welt, die mit ihrer Realität zu Hause, aber auch mit der ernüchternden Ferienwirklichkeit ihres Zeitalters nichts zu tun hatte. Und wie fern erschien in dieser irisierenden Schneeweiße plötzlich auch die rote Glut des Ätna! Hier war alles kühl und graziös. Öl- und Weinpflanzen, phönizische Mauerreste umgaben das Haus, das seit dem Tod des Stifters vor hundert Jahren in ein Museum umgewandelt worden war. Hier wartete der Jüngling. Der Jüngling von Mózia war eine phönizische Statue, an deren Geschichte
sich sogleich Julias Phantasie entzündet hatte, und als sie ihn nun sah, kühn aufgerichtet, ein wenig mehr als lebensgroß, eine Hüfte mit einer fast weiblich anmutenden Bewegung vorgestreckt - als sie ihm gegenüberstand, diesem perfekten Körper aus warmem, golden leuchtendem Marmor, da erschrak sie. Sie hatte gewußt, daß die berühmte Statue nur noch als Torso erhalten war, aber die fehlenden Arme gaben der Figur etwas Anrührendes: Sie hatte kräftige Schultern, aber diesem Auftakt des Oberkörpers folgte nichts. Nichts als Leere. Er kann nicht umarmen, dachte Julia. Und dachte an Hal.
    Freilich war der längst nicht so perfekt gebaut wie dieser Jüngling, aber das Herausfordernde war da, das Hochmütige. Und auch Hal mochte oder konnte nicht umarmen, die Liebe mit ihm war zuweilen zu einem akrobatischen Balanceakt ausgeartet, weil er, wie er sagte, sie dabei sehen wollte. Aber auch danach duldete er Nähe nur aus Versehen oder aus Mattigkeit. Und wie dieser Steinmann da die Hand in die Hüfte stemmte, das konnte eine Aufforderung zum Tanz sein - oder der Beginn eines stundenlangen Streits. Es war beides möglich. Wie immer. Und wie Hal wußte offenbar auch dieser Mann um seinen eigentümlichen Reiz. Warum sonst trug er ein so merkwürdig feminines Plisséegewand, dessen feines Gewebe die untere Hälfte seines Körpers aufreizend eng umschloß, das lockend seine Hüften umfaßte und jeden Hauch einer Bewegung augenblicklich in der Kleidung fortsetzen würde? Solche Kleidung trug Hal auch, nur eben neuzeitlich, modern und scheinbar ungezwungen: weiche Lederhosen und einfache T-Shirts, die auf rätselhafte Art gut saßen, besser als bei jeder anderen Person, die Julia kannte, und die am Hals auf eine provozierende Art abschlossen, denn Hals Nacken war wirklich schön, die Haut von sanft verlaufendem Braun, etwas dunkler als der Teint in seinem hochmütigen Gesicht.

    Und Julia war sich plötzlich sicher gewesen, daß dieser Jüngling nicht, wie manche Forscher vermuteten, eine Art »Animierjunge«

Weitere Kostenlose Bücher