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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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antiker Vergnügungsstätten war und auch nicht das Abbild eines in homosexueller Leidenschaft verehrten Freundes - nein, sie dachte, daß es sich doch um einen Halbgott handeln müßte, und wandte sich bittend an ihn: Nimm ihn mir fort, oder nimm mir das Begehren. Der Jüngling hatte sie nicht erhört. Falls er wirklich war wie Hal, hatte er ihre Bitte uninteressant gefunden.
    Die Postkarte, die sie mitbrachte, hatte Hal achtlos zur Seite gelegt. Bildungstante! Das war viele Jahre her. Es war gestern gewesen.

    Das Meer brüllte. Es warf sich gegen die Steilküste. Julia war sich nicht sicher, ob sich das Meer an solchen Tagen nicht tatsächlich gegen die Menschen wandte und ihnen klarzumachen suchte, wer hier die Herrin war. Immer hatte Julia das Meer als weiblich empfunden - die See -, und jetzt war die Ostsee eine Furie, die sie noch nicht sehen, aber sehr wohl hören konnte, eine Hydra, die hinter den Bäumen im Föhrenwald lauerte, und mit vielen Armen Wasser gegen die Felsen schleuderte. Trotzdem schien die Sonne, glühten die Rotbuchen und Eichen in prachtvollen Herbsttönen, und die Wolken türmten sich hellblau, kobaltfarben und bis hin zu schwärzestem Lila am weiten Himmel. Alles, alles wurde aufgeboten an stürmischen Tagen, denn Sturm war für die See ein Fest, da wurde der Strand durchkämmt und der Seehafer am Ufer, da striegelte der Wind die Bäume und zerzauste die Büsche. Wer sich hinauswagte, wurde respektiert. Vorerst noch. Die Sonne wärmte Julias Rücken und schien sie vorwärtszutreiben, als sie sich auf den Weg zum Süderstrand machte.
    Matt hingen die Blüten des Weißdorns herab, verblüht seit Beginn des Sommers. Die letzten Heckenkirschen zupften
rote Flecken in dichtes, dunkles Gestrüpp, das den Weg wie eine Mauer säumte. Der Tüpfelfarn welkte braun am Boden dahin, viel Kraft hatten die Pflanzen nicht mehr. Dann öffnete sich der Blick, jäh lag die Weite der Ostsee tief unten vor Julia. Es war ein großartiger Anblick, immer wieder, und heute, bei dem starken nördlichen Wind, wirkte es, als fliehe alles nach Süden: Die Sanddornbüsche bogen sich und die Windflüchter ihnen nach, Bäume, die vom Wetter über viele Jahrzehnte hinweg zu bizarren Schirmkronen geformt worden waren und von denen nur einzelne die letzten Sturmfluten überstanden hatten. Strandhafer wogte in Wellen nach Süden, und auch die Gischt auf der See, wild und schäumend, wurde wie von unsichtbaren Kämmen gescheitelt. Julia wehten Haarsträhnen vor’s Gesicht, sie warf den Kopf nach hinten, die linke Hand in der Tasche hielt warme Stahlkugeln fest. Der Wind preßte ihr die Jacke an Rücken und Seiten fest, irgendwo kämpften kreischend die Möwen. Auf der hölzernen Stiege begann Julia den Abstieg hinab zum Strand. Der Dünensand neben ihr zischte, wenn der Wind in ihn hineinfuhr, und selbst die niedrigen Salzmieren mit ihren robusten, fleischigen Blättern wurden geschüttelt. Vergeblich versuchte Glockenheide, die letzten dunkelvioletten Blüten zu halten: Sie wehten davon, mit Sand und mit Schaum von der See, der jetzt herübergeweht kam. Julia hielt sich mit der Rechten am Geländer fest, sofort färbte sich ihre Handinnenfläche grün, sie roch nach Wald und Feuchtigkeit. Julia lachte. Nach ein paar Stunden hier am Strand würde sie ein Teil von ihm werden, das Meer griff nach ihr, warf nach ihr mit Sand und Schaum, Julias Beine wurden klamm und die Haare schwer. Es war eine idiotische Idee gewesen, einen Rock anzuziehen, Julia war dankbar, daß die lange Jacke ihn einigermaßen bändigte. Aber die üppige, schwere Wolle war ihr richtig erschienen für diesen Tag. Ihr war
weich zumute gewesen, weich und rund - trotz aller Aufgeregtheit spürte sie nicht dieselbe Verkrampftheit wie sonst bei ersten Verabredungen. Erste Verabredungen! Vielleicht würde es keine zweite geben? Sie zwang sich zu zweifeln, sie mußte sich zwingen, denn der Wind und das Meer bliesen ihr allen Argwohn davon. Julia gewann Vertrauen. Sie nahm teil an einer jahrtausendealten Erfahrung. Wie Ebbe und Flut. Wie Kommen und Gehen. Wie Gebären und Sterben. Würde Hanno nicht kommen, oder würde sie ihn nicht finden, es hätte sie nicht ernstlich beunruhigt, nicht heute und nicht jetzt - so sehr fühlte sie sich eins mit ihrer Umgebung, wenn diese auch an ihr zerrte und riß, sie nach Atem ringen und taumeln ließ auf der Treppe. Sie wußte, daß sie vom Strand aus, obwohl aufgerichtet und viel höher als die sie umgebenden Dünenpflanzen,

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