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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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schwer auszumachen sein würde im warmen Nachmittagslicht. Ein herbstliches Fest aus Farben und Bewegung. Julia genoß den Rausch.
    Sie betrat den Strand, das Meer rollte ihr entgegen. Schleier aus Sand erhoben sich. Der Dünenhang glitzerte silbern. Fast hätte sie vergessen, wozu sie hier war. Sie mußte lächeln. Ein Zustand, nahe an der Wunschlosigkeit. Sie beschloß, nordwärts zu wandern; sollte Hanno weiter von Süden kommen, womöglich von Nebel aus am Strand entlanggewandert sein, würde er sie doch sehen müssen, so breit und flach war dieser Strand. Er hätte einem weitaus südlicheren Meer zur Ehre gereicht, ein üppiger, ein heiterer Strand, der Himmel für gepeinigte Städterinnenfüße, für gekrümmte Rücken, für sorgenvolle Mienen. Julia wunderte sich, daß sie am Strand so selten Einheimische traf. Vielleicht, weil es außer zu Beginn und zum Ende der Saison nichts weiter zu tun gab. Die Inselbewohner verbanden Arbeit mit dem Meer. Nicht im Traum wäre es den Alten eingefallen, nur so, zum »Amüsement«, wie sie es nannten, den
Weg zum Strand zu suchen, und vollends verständnislos betrachteten sie all jene, die bei Versammlungen der Gemeinde den Bau einer Kurpromenade in Godshorn anregten. In all den Jahren hatten sie sich nicht an die Urlauber gewöhnt, die von Juni bis weit in den September hinein Vergnügen darin fanden, ein Bad im Meer zu nehmen. Vor wenigen Wochen, als begeisterte Urlauber sich immer noch in die Brandung warfen und halbnackte Kinder Sandburgen bauten, sah man die Dorfbewohner, angezogen wie stets - mit Jacken, Sweatern und langen Hosen - hin und wieder nach dem Rechten sehen, mit gedämpfter Neugierde, so wie man vertraute Tiere betrachtet, die sich stets ein wenig seltsam benehmen.
    Julia liebte diesen Strand, aber auch sie ging nur selten hierher. Der Strand überwältigte sie in seiner Pracht, an einem gewöhnlichen Tag war seine Schönheit zu viel für sie, seine majestätische Gelassenheit. Alles beruhigte dieser Strand. Prompt flaute auch jetzt der Wind ab, faßte sich das Meer. Der Wald stand still.
    Nicht zum Aushalten! dachte Julia, die den letzten fliehenden Wolken nachschaute. Sie hörte den Sand wegknirschen unter ihren Füßen, hörte den Strandhafer zischeln, den Wald hoch oben rauschen. Die ersten Vögel zogen Erkundigungen ein, ein Entenpaar landete. Sachte belebte sich der Strand, während das Meer friedlich zu schaukeln begann, eine glatte Fläche jetzt, auf der sich nur hin und wieder Gischt erhob. Julia ging zum Wassersaum. Nie zuvor hatte sie solche Farben gesehen!
    Aquamarin, Türkis, tiefes Tintenblau und leuchtendes Jadegrün. Und ein Himmel darüber, vom Blau wilder Kornblumen, ein würdiges Himmelszelt, und nun endlich verstand Julia die alte Floskel aus Kirchenliedern. Es kam ihr selber eins in den Sinn, und sie stellte sich vor, daß die betagte Bekassine da vorn, dieser kuriose, braungefiederte Vogel
eine Trompete besäße. Jetzt flog die Bekassine auf, und da hörte Julia schon regelrecht die Bachkantate:
    »Ja-ha-ha-ha-jauchzet Gott in allen Landen!« Sie summte erst, dann sang sie das alte Kirchenlied, sie hörte auch die Trompete. »Was der Himmel und die Welt/An Geschöpfen in sich hält.« Das Wasser hier schien in einem tiefen Flaschengrün geheimnisvoll zu leuchten. »Ja-ha-ha-ha-jauchzet!«
    Etwas schwebte zart und durchscheinend auf den Strand zu, wie eine transparente Glocke, aus feinen Fäden gesponnen: eine Qualle. Wie hatte sie sich früher nur ekeln können vor diesem Schweben der Millionen Teilchen, die sich, einer eigenartigen Melodie folgend, bald zusammenzogen, bald öffneten.
    In ruhiger Regelmäßigkeit atmete der Schirm, die Meduse schwamm aufgerichtet, dem Licht zugewandt. Sie durchmaß das Wasser mit kühlen, suchenden Fingern, eine anmutige Räuberin. Wenn die Fächerbewegungen der Tentakeln auch zögerlich, ja beinahe fragend waren, so konnten sie sich doch in Sekundenbruchteilen in gefährliche Waffen verwandeln. Eine Mimikry, ein zauberischer Tanz mit dem Wasser: Weich flossen die Ränder der Qualle auseinander, dann kräuselte sich der Rand wieder, und die Qualle wölbte sich auf, ein stetes Ein- und Ausatmen, einem Rhythmus folgend, den Julia nicht durchschaute.
    Plötzlich fing die Qualle Feuer, begann, wie von innen heraus zu funkeln, orangefarbene Punkte auf dem Leib glühten in unterschiedlichsten Farbabstufungen auf. Dann verblaßte das Tier wieder, reflektierte nur noch das Sonnenlicht, das es durch die

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