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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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mit kalten, wachen Augen, in die sich so etwas wie Triumph schleicht, wenn er merkt, daß er Dich doch noch erregt, trotz allem, noch immer… Und der dann wieder geht, Dir eine Kußhand zuwirft, ein Kompliment vielleicht, mit dem er Dich endgültig niederstreckt.
    Ich glaube, er wollte austesten, wie viel Lieblosigkeit er sich eigentlich erlauben kann, er wirkte auf mich wie ein grausames Kind, das seine Grenzen sucht. Als Du sie ihm zeigtest, war es zu spät. Du hattest Dich in die denkbar schlechteste Lage gebracht: Du warst schwanger. Und Hal meinte, als Du es ihm sagtest, nur kurz: »Wo ist denn da das Problem? Schwangerschaften sind doch heute nicht mehr als’ne Grippe!«
    Du hast gelacht, als Du mir das kurz nach Eurer Rückkehr erzähltest. Du hast laut und häßlich gelacht und gesagt: »Ist das nicht absurd, Jeanette? Ausgerechnet jetzt, wo es doch wirklich vorbei ist? Wo ich ihn mir ausgetrieben habe, buchstäblich?« Und wurdest dann ganz ernst und hast gesagt: »Ich will das Kind auf keinen Fall, ich würde verrückt, wenn es ihm ähnlich sähe!«
    Nun, Du hast es nicht bekommen, dieses Kind, und das war auch gut so, aber Du bist fast verblutet bei der Abtreibung, eine vollkommen unerklärliche Komplikation ist aufgetreten. Für mich allerdings war sie wenig rätselhaft, ich hatte die ganze Zeit über Angst um Dich, weil Du den Eindruck einer Person machtest, die aufgegeben hatte. Von Hal kamen Blumen, langstielige Gladiolen, glaube ich, und als
Du sie in den Abfalleimer stopftest - Du mußtest sie knicken dafür -, da habe ich zum ersten Mal seit Wochen wieder so etwas wie Energie bei Dir aufblitzen gesehen. Ja, dieser Hal, das war auch so ein unabhängiger Mann, einer, der die Freiheit eines Asphaltcowboys verströmte. Sie locken und sie lassen Dich. Es sind Männer, die immer das Heft in der Hand haben. Sie vermitteln Dir das Gefühl, es könnte doch etwas werden - vielleicht. Und an dieses »Vielleicht« klammerst Du Dich. Sie sind nicht gut für Dich, diese Typen. Und dieser Hanno, das scheint gleich so eine Art Lebensaufgabe zu sein. Du hast aber schon eine: Dich. Bitte, paß auf Dich auf!
    Siehst Du, meine Liebe, dieser Brief ist wieder so eine Art »Nagelprobe«: Ich würde mich kaum trauen, ihn irgendeiner anderen Person zu schicken, und sei sie mir auch noch so vertraut. Aber Du und ich, wir haben schon so viel zusammen durchgestanden; diese Ehrlichkeit wirst Du hoffentlich auch ertragen? Und zur Sicherheit mache ich mich auch noch gleich ein bißchen unentbehrlich:
    Ich habe eine Spur von Deiner »Malvine« gefunden! Es soll, in Privatbesitz natürlich und deshalb schwer zugänglich, ein Bild geben, gemalt in den zwanziger Jahren auf Deiner Insel, das eine Tänzerin zeigt! Und, stell Dir vor, es trägt sogar einen Titel, irgend etwas wie »Die unsterbliche M.« oder so. »M« könnte »Malvine« heißen, muß aber nicht. Das Bild soll im Haus der Witwe eines ehemals einflußreichen Politikers aus der alten DDR hängen, und selbstverständlich habe ich noch nicht die leiseste Ahnung, wie ich da herankommen soll. Aber laß mich nur machen, wie Du weißt, fahre ich gern nach Berlin. Ich melde mich dann von dort aus - telefonisch, wenn es ganz eilige Neuigkeiten gibt. Es wäre wirklich sehr spannend, wenn auf Deiner Insel verschiedene Fäden zusammenlaufen würden, wie Du vermutest, auf jeden Fall scheint Ladesteins Nachlaß sehr viel ergiebiger
zu sein als mein Katalog für komparatistische Studien, den ich gerade für den Kongreß aktualisieren muß.
    Seufz! Habe Mitleid! - mit Deiner strengen
Jeanette

8
    Der Drache betrachtete sie mit gleichgültigem Gesicht. Er flog aus der Mitte der Pagoden direkt auf sie zu. Alles leuchtete in intensivem Laubgrün. Die zierlichen Tempelbauten, mit goldenen Fäden angedeutet, schienen zurückzuweichen vor seinem gewaltigen Flug. Zarte Zweige krümmten sich, Blumenranken - sie konnten der Szenerie das Bedrohliche nicht nehmen. Für ein Kästchen, dessen Inhalt zur Meditation diente, fand Julia das Dekor ziemlich kriegerisch. Sie nahm die beiden silberfarbenen Kugeln aus dem feuerroten Futteral. Der Messingverschluß war seit dem Tag ihrer Ankunft ein wenig verbogen, das chinesische Siegel zerbrochen. Die Kugeln steckte Julia in die Seitentasche ihrer Jacke, so konnte sie beim Spazierengehen damit spielen, ohne daß jemand ihre Gewohnheit bemerkte, die hier Befremden ausgelöst hätte. Sanft klingelte es, als sie die Kugeln in die linke Tasche gleiten ließ.

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