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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Wollmantel hinaufgegangen zur Kirche. Julia hatte sie weggehen sehen, sehr aufrecht, gemessenen Schrittes.
    »Es sind fast alle dagewesen«, sagte Anne Bult jetzt. »Die Kirche war fast voll. Ha, wenn das die alten Parteifunktionäre sehen könnten!« Sie lächelte zufrieden. »Und auch die Bestuhlung ist fast wieder komplett.«
    Julia wußte, warum dieser Punkt für Anne von Bedeutung war. Sie hatte Julia die Dorfkirche gezeigt, gleich in der ersten Woche, und dabei auch auf die Stühle hingewiesen. Ungeniert hatten die Parteivertreter in den Jahren des Sozialismus das Kirchenmobiliar geplündert; Sitzgelegenheiten waren knapp in den öffentlichen Räumen auf der Insel, also
wurden die alten, massiven Eichenstühle mit den hohen Rückenlehnen und den rohrgeflochtenen Sitzen massenweise aus dem ungenutzten Gotteshaus geschafft. Nun waren allerdings auch der Kirche ein paar Anhänger geblieben; die schafften, wenn nötig, das Gestühl zu ihren frommen Zwecken wieder zurück in die Kirche. Und bei dieser Gelegenheit ließen sie dann wohl auch den einen oder anderen scheußlichen, aber bequemeren Plastesessel aus dem Gemeindesaal mitgehen... Zu den Feiertagen hatte man eine kuriose Prozession von Dorfbewohnern sehen können, jeder mit einem Stuhl oder Sessel über dem Kopf, stumm, aber entschlossen, Richtung Kirche wandernd. So ergab sich mit der Zeit eine seltsame Mischung aus sakralem und profanem Gestühl - sowohl in der Kirche als auch im Versammlungssaal. Und hier wie dort dachte man an das jeweils andere.
    »Gut, daß die Stühle fast alle wieder da sind«, sagte Anne Bult jetzt. »Langsam sieht die Kirche wieder so aus, wie sie soll. Es spielt ja alles zusammen.«

    Auf die Dorfkirche war Anne Bult stolz. Sie war, das wußte Julia, der letzte Überrest eines Klosters, dessen wohlhabende Brüder einst über die ganze Insel geherrscht hatten. Jetzt stand nur noch die jahrhundertealte Kapelle aus Felsquadern, die sich im Inneren als überraschend anmutiger, weißgekalkter Raum entpuppte. Staunend hatte Julia mit Anne Bult in dieser Kirche gestanden, und immer wieder stattete sie ihr bei ihren Wanderungen einen Besuch ab: Das Mittelschiff war höher, als es bei dem gedrungenen Bau von außen den Anschein hatte, die Decke war kühn und gekonnt wie eine Tonne gewölbt, und, was das Schönste war, ein unbekannt gebliebener Künstler hatte diese Decke irgendwann im vergangenen Jahrhundert bemalt. Ein himmelblaues Sternengewölbe schwebte über den Köpfen der
Dorfbewohner; allerdings hatte es der Künstler vorgezogen, sein Phantasiefirmament anstelle von Himmelskörpern mit Blumen zu schmücken, mit Vergißmeinnicht und Rosenranken, die alle auf die Mitte des Gewölbes zuliefen. Und dort, über dem holzgeschnitzten und in seiner Massigkeit recht bedrohlich wirkenden Taufbecken, schwebte, genau in der Waagerechten, ein Engel. Aber was für einer! Wenn man zu ihm hinaufsah, schien er mit seinem leicht gedrehten Körper kurz davor, sich lächelnd aus seinem Blumenhimmel auf die Menschen, die ihn bestaunten, hinabzustürzen. Auch er war aus Holz geschnitzt, und er mußte entweder sehr alt oder von weither gebracht worden sein, denn so schöne Lindenhölzer gab es auf der Insel nicht. Aber nicht als Wunderwerk der Bildschnitzerei wurde der übermannsgroße Engel bewundert, nein, dieser Engel wurde vor allem geliebt, weil er bunt war. Er trug eine ganz und gar unheilige, fröhliche Farbenpracht zur Schau, an der sich Kinder und kindlich Gebliebene nicht sattsehen konnten, während gebildetere Touristen ein wenig angeekelt, aber auch fasziniert die Köpfe schüttelten. Wenn es schamlose Engel gab, dann war dieser einer von ihnen, dieser »Engel der unerwarteten Ereignisse«, wie er aus Gründen, die niemand mehr kannte, einmal genannt worden war. Golden bemalt war sein fleischiger Körper, königsblau die Schärpe, die er lässig um die Hüfte geschlungen trug, und dunkel glänzten Locken auf seinem Kopf. Einladend hielt er die Rechte ausgestreckt, schwenkte ein Gefäß darin, ein puppenhaftes Füllhorn, eine Muschel vielleicht, die sagte: Ich schenk’ dir ein … Der Küster, der öfter mit einer Leiter nach oben kletterte, um den ungewöhnlichen Himmelsboten abzustauben, erklärte, daß er blaue Augen hätte, und sogar die Wimpern seien sorgfältig aufgemalt.
    »Und die Fingernägel, die auch! Mit Perlmuttlack!«
    Dem brummigen Mann war das alles ein bißchen zu weltlich,
so wie auch die Engelsflügel, die sich sinnlich und

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