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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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üppig wie das Gefieder eines prachtvollen Schwans entfalteten. Da konnte sich der Pastor so feierlich gebärden, wie er wollte, konnten Brautpaare noch so festlich geschmückt kommen - der Engel stahl ihnen die Schau. Obwohl es schon lange her war, daß sich hier Paare hatten trauen lassen. Die Einheimischen gewöhnten sich nur langsam an den Brauch, ihren Bund auch in der Kirche segnen zu lassen, und Versuche, die Kirche als »Hochzeitskapelle« zu vermarkten, hatten nicht gefruchtet, dazu war die Überfahrt hierher zu unromantisch, der Fährmann hatte, wie er sagte, für »so’n Tätäh« nichts übrig. Also gehörte der Engel wieder ihnen allein.

    »Du mußt dir das vorstellen«, sagte Anne Bult jetzt und riß Julia aus ihren Gedanken, »dieser heitere Engel über uns und dann diese traurige Geschichte!« Julia wußte, daß es keinen Sinn hatte zu drängen, und doch hoffte sie, daß Anne Bult endlich vom eigentlichen, von der Trauerfeier erzählen würde. Denn keine Frage: Der tote Seemann bewegte sie. Ein toter Seemann bewegte alle. Was hatten diese Leute nur für schwere Schicksale! Das Meer, von dem sie lebten, brachte sie am Ende um, und meist starben diese Burschen auch noch zu früh. Wenn sie nicht ertranken, brachte sie ein Unfall an Deck zu Fall, oder die ewige Feuchtigkeit und die schwere körperliche Arbeit machten sie anfällig für Krankheiten. Es gab Seeleute im Sanatorium auf der großen Insel, die schon mit vierzig einen krummen Rükken hatten, und andere, deren chronischer Husten überhaupt nicht mehr weichen wollte. Sicher, auch das Rauchen und der ewige Schnaps …
    »Möchtest du noch eine Tasse?« Anne Bult ließ Kandis in die Tassen fallen, schenkte nach, lauschte auf das leise Knistern, rührte, schaute nach draußen. Endlich erzählte sie
weiter, aber sie sprach anders als sonst. Sie sprach wie jemand, der sich mit den eigenen Worten etwas klarzumachen sucht, wie jemand, der selbst kaum glauben kann, was er erzählt, und sich allmählich, behutsam versichert: Ja, so muß es gewesen sein. »Der Organist spielte die Orgel, als ginge es um sein Leben«, begann Anne ihre Geschichte. »Er hat selten eine so große Zuhörerschaft, und bei Trauerfeiern geht es in die vollen, da kann er sämtliche Register ziehen und wahre Unwetter entfesseln. Der Gesang allerdings klang sehr dünn, die Leute sind nach vierzig Jahren Sozialismus einfach nicht geübt im Singen der Choräle.« Anne hielt inne, sie schien auf etwas zu lauschen, vielleicht auf die alten Melodien, die sie in der Kirche gehört hatte. Sie sah auf. »Dem Organist war’s allerdings recht, so mußte er nicht allzuviel Rücksicht auf die Stimmen nehmen, die seinem ›Wir sind nur Gast auf Erden‹ vergeblich versuchten, hinterherzueilen. Er ist geradezu davongebraust mit seiner Orgel! So was wie eine ordentliche Begleitung - nein, das lernt der nicht mehr«, sagte Anne, eine Spur Mißbilligung in der Stimme.
    Vorn, unterm Engel und neben dem Taufbecken, war der schlichte Sarg aufgebahrt, Kerzen brannten, obwohl noch genügend Tageslicht durch die Fenster drang, irgend jemand hatte sogar einen Kranz besorgt, auf dessen Gebinde »Ruhe sanft!« stand.
    »Ich war ganz zufrieden«, sagte Anne. »Ich wußte, daß vor der Kirche Minareks Kremser stand, als Leichenwagen geschmückt, und daß Hilda Minarek in ihrem schwarzen Kostüm, ohne zu murren, die paar Meter bis zum Hintereingang des Friedhofs fahren würde, obwohl man den Sarg genausogut hätte von der Kirche aus dorthin tragen können. Aber so war es richtiger, fanden wir alle, der Tote sollte ruhig noch eine kleine Wegstrecke kutschiert werden.
    Und dann - der Pastor hatte seine kleine Ansprache gerade
beendet und die Gemeinde aufgefordert, sich zur Ehre des unbekannten Toten zu erheben - geschah es: Während die Leute aufstanden, löste sich plötzlich Marga Niemann aus der Versammlung. Ich hatte zunächst nur eine Bewegung hinten in der Kirche wahrgenommen, weißt du, so eine gewisse Unruhe. Marga hatte irgendwo in der Mitte einer Reihe ziemlich nah am Orgelaufgang gesessen; aber als sie sich nun anschickte, an ihren Nachbarn vorbei zum Mittelgang zu gehen, tat sie das mit einer solchen Bestimmtheit, daß niemand murrte oder nur widerwillig Platz machte. Sie glitt reibungslos an den anderen vorbei, und während ich noch überlegte, daß sie wohl, seltsam, wie sie nun einmal ist, vielleicht nach draußen gehen und frische Luft schöpfen wollte, da bewegte sie sich schon langsam, aber

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