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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Mady, die zwischendurch verschwand und mit sorgfältig frisierten Haaren zurückkam. Arme Mady, dachte Julia bei sich. Vor ihrer letzten Schwangerschaft, so hatte sie Julia ungefragt erzählt, hatte sie langes, in Wellen herabfallendes Haar gehabt, braun mit genau jenem Stich ins Rötliche, den sich viele Frauen mühsam hineinsträhnen. Früher! Ja! Dann schwieg Mady verbittert. Wahrscheinlich war Jenny, die Ältere, noch ein Wunschkind gewesen, und als dann die Beziehung in eine jener Krisen geriet, wie sie für junge Paare mit dem ersten Kind anscheinend unausweichlich waren, hatten die Runges ausgerechnet in einem zweiten Kind ihr Heil gesucht. Vielleicht, dachte Julia, war Sandra deshalb ein so passives, in sich gekehrtes Kind geworden: weil sie die Last spürte, die verzweifelten Hoffnungen, die in sie gesetzt worden waren, und auch, weil es ihre einzige Chance war, neben der immerzu fragenden, tobenden, umherhüpfenden Jenny zu bestehen? Julia hatte Sandra einmal im Garten beobachtet. Da saß die Kleine seelenruhig da, abwartend, und fing Fliegen. Und denen riß sie dann die Beine aus, eines nach dem anderen.
    Ihre Mutter bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Aber Julia wußte, wie verzweifelt sie war, wenn sie wieder einmal versuchte, das fahl gewordene und längst
kurzgeschnittene Haar über die kahlen Stellen zu frisieren, die sie seit langer Zeit demütigten. Und wenn Mady ihre Tochter Jenny davonhüpfen sah, die langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, dann konnte ihr Gesicht etwas Finsteres, ja Bösartiges annehmen. Dann fragte sie sich wohl, womit sie das verdient hatte.

    Im Moment allerdings strahlte sie zufrieden. Sie hatte sich einen Stuhl herangeholt, ihn genau zwischen Julia und Malte abgesetzt und sich mit übereinandergeschlagenen Beinen daraufgesetzt. Selbst wie sie energisch die Flasche Bier ansetzte, hatte das plötzlich etwas Graziles.
    »Eigentlich ist es zu kalt für Bier!« sagte sie entschuldigend. »Aber es ist nichts anderes im Haus.«
    »Macht nichts!« Malte fand es nie zu kalt für Bier, und au ßerdem war er guter Laune. Er genoß es offensichtlich, so viele aufmerksame Zuhörerinnen zu haben, und was gab es besseres, als auch noch eine Flasche Bier zu den passenden Requisiten! Denn der Eimer mit den traurigen Quallenresten darin, der inspirierte ihn, von großen Seeabenteuern zu erzählen, von Seeschlangen und gefährlichen Kraken, die mit einer einzigen Umarmung einen ganzen Mann erdrücken konnten, jawohl!
    »Uhu-monu-mihi? Was sind das für Kraken, Malte? Los, erzähl!«
    Jennys Stimme piepste ungewöhnlich zaghaft in den Raum. Es wurde allmählich dunkel über Maltes Erzählung.
    Malte erzählte von einer Krake, die seltsamerweise in der Umgangssprache Papierboot genannt wurde, die aber aussah, als käme sie direkt aus einem Science-Fiction-Film. »Argonauta argo«, so hieß das Tier offiziell, wie Malte wußte, war ein äußerst seltener und mysteriöser Bewohner der sieben Weltmeere. Das Weibchen konnte gut und gerne einen halben Meter lang werden, während das Männchen
sich mit einem kümmerlichen Zentimeter Körpergröße zufriedengeben mußte. »Ein Zentimeter gegen dreißig! Stell dir vor, was das gibt!« Malte zwinkerte Mady zu. Dann erzählte er von hinterhältigen Seeigeln, die harmlose Matrosenfüße aufspießten, er erzählte von den Tücken der gewöhnlichen Kraken, die in Blitzesschnelle ihre Farbe wechseln konnten, und er berichtete mit raunender Stimme von seltsamen Tiefseebewohnern, von denen manche Leute behaupteten, es seien arme Seelen, die in höllischer Tiefe ihre Sünden verbüßten. Es sei nämlich keineswegs ausgemacht, meinte Malte, daß die Hölle so eine Art bessere Backstube sei! Dabei handelte es sich seiner Meinung nach um ein billiges Ammenmärchen, mit dem zum Beispiel die Nachforschungen kluger kleiner Mädchen verhindert werden sollten, denn in Wahrheit, in Wahrheit ließe sich der Abgrund aller Abgründe viel eher im Ozean vermuten. Und in Meere, und seien sie auch noch so tief, ließe sich schließlich hinabtauchen und nachgucken. Und wo käme denn die Hölle hin, wenn sie alle mal inspizieren wollten?! Ein Freund jedenfalls hatte genau das getan, habe nachschauen wollen und sei prompt auf seltsame Wesen gestoßen: Eine Krake habe er gesehen, mit genau elf Armen, die befremdliche, klagende Töne ausstieß. Elf Geliebte hatte der Bü ßende in seinem Leben gehabt - heimlich, versteht sich - neben der braven,

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