Ostseeliebe
vorsichtig,« riet mir der teure Düfte verströmende Gentleman, »und vor allem, sagen Sie auf keinen Fall, daß Sie aus dem Westen kommen! Am besten, Sie grüßen die alte Dame von Werner« - das ist einer dieser berühmten DDR-Maler - »das ist dann zwar eine freie Erfindung, aber wozu etwas allzu umständlich erklären müssen, wenn es ein so einfaches Sesamöffne-dich gibt?«
Und, was soll ich Dir sagen: Es funktionierte tatsächlich! Die ehemalige Dienstvilla dieses ehemaligen stellvertretenden Ministers im ehemaligen Osten der ehemaligen Hauptstadt der DDR - ein wunderschönes Waldgrundstück mitten in Berlin - habe ich noch mit einigem Herzklopfen aufgesucht. Schließlich schickte ich mich ja an, mir quasi unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Einlaß in ein fremdes Haus zu verschaffen. Ich konnte mir unschwer ausmalen, was passieren würde, wenn die Alte entdeckte, was ich
da eigentlich wollte und wer ich war … Bis zuletzt überlegte ich, ob ich ihr nicht einfach die Wahrheit sagen sollte. Aber dann sah ich das Tor: ein gewaltiges, eisernes Einfahrtstor, wie es im Westen kaum der Chef eines mittelschweren Konzerns vor sein Privatgrundstück gewuchtet hätte, dahinter eine Auffahrt, die von merkwürdig biederen Rabatten begrenzt war. Panzerbeton und Petunien! Eine seltsame Mischung, aber auch wieder passend: Bedrohung und Heimeligkeit, das war doch die unschlagbare Mischung der Genossen im Osten, wenn mich nicht alles täuscht! (Wirf mir nicht wieder Ressentiments vor, ich zitiere damit - indirekt - Sigrid Damm, eine Schriftstellerin aus dem Osten, die von einem »wärmenden kleinen Land« schreibt, wenn sie, durchaus kritisch, die DDR meint). Gut, die Alte: Sie war gar keine. Jedenfalls keine typische. Die Hauseigentümerin, die mir auf dem Betonweg entgegenschritt, entpuppte sich vielmehr als zarte alte Dame mit fliederfarbenen Haaren, die nun, am hellichten Mittag - und mitten im eher kühlen November - einen wattierten rosa Morgenmantel trug. Und Hauspantoffeln, in jenem unverwechselbaren Muster, das ich von meiner Großtante aus Potsdam kenne. Es gab eben nur dieses eine! Ich wußte gar nicht, wie sehr es mir noch in allen Details präsent war. Ich mußte also auf ihre kleinen bestrumpften Altfrauenfüße starren und hätte darüber beinahe ihre Frage überhört, was ich denn wolle. Ich solle schön von Werner grüßen, hörte ich mich sagen, und da wurde die Dame prompt zutraulich, sagte etwas wie: »Ach nein, der Werner aus Stralsund, wie hat der sich doch nur verkrochen in den Norden!« - und schon nötigte sie mich geradezu, hereinzukommen und ein Täßchen Tee mit ihr zu trinken. Das tat ich denn. Und dabei sah ich es auch schon. Nicht »Dein« Bild, Julia, nein, so einfach war es dann doch nicht. Aber Bilder sah ich, andere Bilder! Großformatige Ölbilder, Aquarelle und Holzschnitte - sämtliche
Wände des Hauses waren förmlich damit tapeziert! Und Porzellan dazwischen und kleine Skulpturen! Und auf Teppichen gelangten wir in die kleine Küche, auf Teppichen, die gewiß nicht aus volkseigenen Betrieben der DDR stammten... Die Alte erzählte mir, ihr verstorbener Mann habe all diese Schätze von seinen Dienstreisen mitgebracht, und sie sei darüber sehr froh gewesen, doppelt froh: einmal, weil sie so schöne Sachen besaßen, und zum anderen, weil das ihre einzige Art zu reisen war: Gertrud Kühnel hatte ihren Mann nie begleiten dürfen, außer hin und wieder in das, was im DDR-Deutsch »sozialistisches Ausland« hieß. »Und Rumänien, Bulgarien, das hat man ja dann auch irgendwann einmal alles gesehen!« sagte die alte Dame. Während ich ihren Klagen lauschte, dachte ich boshaft, warum dieser Haushalt eigentlich nicht »vergesellschaftet« worden war - ein DDR-Lieblingsbegriff - warum das keine öffentliche Einrichtung war? Denn zu studieren gab es hier, weiß Gott, genug. Ich verstehe ja nichts von diesen Dingen, aber daß an den Wänden dieser Berliner Repräsentationsvilla Bilder von einigem Wert hingen, begriff auch ich. Großmütig bot mir die Alte an, ihr Haus zu zeigen. Sie fragte gar nicht mehr, was ich eigentlich wollte. Nachdem mir einmal der falsche Gruß den richtigen Eintritt verschafft hatte, war alles gut.
Drei Stockwerke, vom Erdgeschoß bis zum Dach. Drei Stockwerke mit Altfrauengeruch, Erinnerungen, Plunder und, so glaube ich, regelrechten Schätzen. Teppiche, Wandbehänge, Bilder. Frau Kühnel schnaufte, die Treppe war steil. An den Wänden Erinnerungsfotos vom Gatten mit
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