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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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allerlei Politprominenz: von Ghaddafi bis Ceaucescu, lauter liebenswerte Gesellen!
    Und dann sah ich es, Dein Bild: Es hing im Treppenhaus des obersten Stockwerkes, wir stiegen direkt darauf zu. Ein Hochformat: Vor dunklem Hintergrund (ein Vorhang? Ein
Bühnenvorhang vielleicht?) hebt sich eine Frauengestalt deutlich ab. Aber was heißt schon »hebt sich ab«, und was heißt »Gestalt«? Vom Bild leuchtete ein Helm, ein goldener Helm. Das waren ihre Haare, und deshalb wußte ich sofort: Das hier muß Deine Malvine sein! Es war schwierig, die Signatur zu erkennen, weil das Bild sehr hoch hing, aber irgendwie schaffte ich es. Und da war auch schon die Alte bei mir, nickte wohlwollend und sagte: »Jaja, die Malvine, die machte damals alle Männer verrückt, und es war doch so vergeblich!« Das Bild jedenfalls trägt den Titel: »M., der unwiederbringlichen Frau«. Seltsam, nicht wahr? Titel und Widmung zugleich?! Oder war das in den zwanziger Jahren üblich? Der Maler jedenfalls, so viel habe ich schon herausbekommen, gehörte zu den Berliner Bohemiens der Zeit. Und nun die eigentliche Überraschung: Herr Kühnel war of fenbar mit dieser Malvine gut bekannt. Sie war Tänzerin, Ausdruckstänzerin, was damals ja groß in Mode war, und sie hat sich offenbar auch an eigenen Choreographien versucht. In den dreißiger Jahren ist sie dann emigriert, warum, wollte mir Frau Kühnel nicht so recht sagen, aber offenbar war es etwas Peinliches. Jedenfalls hat diese Malvine, bevor sie in die USA emigrierte, etwas bei den Kühnels zurückgelassen, nämlich ihre gesamte Korrespondenz: Ein Schuhkarton voller Materialien ist es, und beim flüchtigen Hineinsehen habe ich auch schon Postkarten gesehen, die den Absender »Ladestein« tragen! Mit anderen Worten: Ich hänge voll drin in Deiner Geschichte! - Gebe allerdings auch freimütig zu, daß mir die allemal vergnüglicher erscheint als meine Enzyklopädien und die Nachbearbeitung der verfluchten Essener Germanisten-Tagung. Kurzum: Mit Deinem beschaulichen Inseldasein dürfte es in Kürze vorbei sein, denn ich beabsichtige, falls Du mir eine Luftmatratze zur Verfügung stellst, Deine Einsamkeit vorübergehend gründlich zu stören. Jawohl: Ich komme. Damit dürfte
Dein Silvesterproblem (die Koblenzer Tante! Bielefeld!) auch gelöst sein, denn selbstverständlich halten Dich dringende berufliche Verpflichtungen von einer Heimreise ab... Aber Du sprächest wahrscheinlich gar nicht mehr von Heimreise, nicht wahr? Wenn ich Deinen letzten Briefchen trauen soll, schlägst Du gerade eher Inselwurzeln? Bei diesem Minarek womöglich? Der Mann, bei dem ich dazu bereit oder wenigstens in Versuchung wäre, muß wohl erst noch gebacken werden. Naja, sei’s drum!
    Halte mir also die Daumen, daß mich Frau Kühnel den ganzen Ladestein-Malvine-Kram fotokopieren läßt. Sie scheint ganz gut auf mich zu sprechen zu sein, und deshalb gedenke ich die Gunst der Stunde zu nutzen, meinen Berliner Aufenthalt noch um ein paar Tage zu verlängern und Dir reichlich »Beute« mitzubringen, wenn ich, zwischen Weihnachten und Silvester etwa, komme. Gehen dann überhaupt Fähren? Oder erwartest Du, daß ich per Ruderboot anreise?

    Gib mir also Bescheid, ob Dir meine Visite überhaupt recht ist oder ob Du über die Feiertage vielleicht lieber lernst, wie man kranke Schafe operiert ... Ich vermisse Dich sehnsüchtig!
    Deine alte Freundin
Jeanette
    Im allmählich einsetzenden Winter gab es Momente, in denen Julia sich dabei ertappte, Jeanette zu beneiden. Um die Sicherheit. Um die selbstverständliche Wärme. Um Beaujolais primeur, um Cafés, um die Auswahl an Darjeeling-Tees. Darum, daß ihr die Routine sagte, wie jeder Tag zu beginnen war. Für Julia gab es nun zweierlei: das, was sie spürte, aus einem Instinkt heraus, den das Inselleben geweckt hatte -
und es gab die frische, damit prompt einhergehende Verunsicherung, weil sie vorläufig nur ahnte, was sie aus dem neu Erlebten schließen sollte. Irgendwann mußte sich daraus ein neuer Alltag entwickeln, aber Julia wußte nicht wie. Nicht leichtfertig, eher leichtunfertig, so hatte sie ihr vermeintliches Bielefelder Städtewissen über Bord geworfen und neu begonnen zu lernen. Und so, wie sie Hannos Körper erkundete von Tag zu Tag, die Landschaft der Insel, das Wetter, so erkundete sie auch sich. Hatte sie einmal geglaubt zu wissen, was ihr guttäte, was sie brauchte?
    Das Thermometer sank. Die letzten Vögel verzagten. Morgens kreischten die Möwen sich Mut zu,

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