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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Mit suchenden, wissenden Fingern. Schließlich stand sie vor ihm, betrachtete ihn. Hanno war nun ganz nackt, während sie nach wie vor ihre Jeans trug und den Pullover. Hanno glühte. Er stand breitbeinig da, die Arme emporgehoben und hielt sich mit beiden Händen gerade noch am Türrahmen fest. Es lastete nichts mehr auf ihm. Er spürte, daß sie ihn betrachtete, regte sich aber nicht und öffnete auch nicht die Augen.
    »Komm!«
    Himmel, was meinte er? Für einen Augenblick wurde sie unsicher.
    »Komm!«
    Kein Bett weit und breit, keine Matratze. Die alte Befangenheit kroch in ihr hoch, für einen Augenblick. Hanno lehnte sich in den Türrahmen, öffnete die Augen, löste die Hände vom Türbalken.
    »Komm!«
    Sie kam. Sie zog sich aus. Sie fürchtete sich nicht mehr. Nicht vor dem hellen Licht und vor der nachgiebigen Weichheit ihrer Hüften. Seine Hände verschwanden darin, umschlangen ihren Rücken. Sie hatte keine Angst um ihr Gleichgewicht und keine Angst vor Ungeschicklichkeiten. Nun hielt er sie. Sie hatte keine Angst vor Blicken - diese Ängste, die sich einstellten beim Passieren von Baustellen, die den Aufenthalt am Strand und in Freibädern vergällten, diese Ängste vor den Spiegeln in zu engen Umkleidekabinen - alle diese Ängste, alle, die sie einmal gehabt hatte, versteckte sie unter seiner Zunge. Küsse. Lippen. Zungen. Zermalmte
Ängste. Zermalmte, aus Zeitschriften angelesene, aufgelesene, fremde Sorgen. Sie lösten sich auf. Sie, Julia, war hier, und Hanno schaute sie an. Hell die Augen, wimpernlos fast. Sie erwiderte seinen Blick. Sie hielt ihm stand, sie waren gleich. Er zog sie fest an sich. Er wollte sie. Alles an Hanno wollte sie. Seine Finger, seine Arme, seine Ellenbogen, seine Schultern. Sein Schlüsselbein, der Kratzer auf dem Oberarm, die Leberflecken. Alles wollte sie, alles floß ihr entgegen. Warm federte sein Bauch gegen ihren, heiß stieß ihre Brust an seine. Ihre Brüste brannten. Sie wollte ihn! Sie umschlang ihn, wie ein Meerestier ein anderes umschlingt, fest, entschlossen, erfahren. Ach, daß ihre Arme neun Meter lang würden, sich in Tentakel feingliedriger Quallen verwandelten, so fein und so gefährlich, so beweglich und so gewandt. Er hielt sie. Sie vertraute ihm. Er hielt sie, und sie stieß sich ab vom Ufer. Julia lernte schwimmen. Sie schwammen gemeinsam, sie tauchten, sie erreichten nicht gekannte Tiefen. Ein ruhiges, ein bewußtes Gleiten zunächst, dann trieben immer neue Stöße sie weiter hinab, ins Dunkle, ins Abgründige, nein - kein Innehalten, sie schwammen weiter, und sie hielten sich fest aneinander. Ganze Fischschwärme machten sich in ihr breit, glitten in unruhigen Gruppen in ihrem Schoß hin und her, jagten einander und schossen davon, spähten und lagen auf der Lauer. Sie waren völlig unberechenbar, diese Fischschwärme und sehr lebendig, und sie wuchsen anscheinend von Augenblick zu Augenblick, wurden heftig, drängten. Die Luft wurde knapper und kostbarer auch, das Herz klopfte, der Atem ging schneller. Diese Fische in ihr! Sie schnappten nach ihr, daß ihr Fleisch zuckte. Kleine, zärtliche Wunden. Kleine, purpurfarbene Blasen lösten sich vom Grund des Bewußtseins, vom Grund ihres Beckens und ließen es kreisen, sanft zuerst, langsam und suchend, immer schneller dann, immer schneller. Schneller!

    »Warte!«
    Nein, kein Zögern, kein Warten! Nun war sie es, die drängte, die ihn vorwärtstrieb und weiter.
    »Warte! Julia!«
    Sie lachte leise. Sie fühlte sich mächtig und stark. Wie sollte sie warten mit seiner Hand auf ihrer Brust?! Sie war die Herrin des Meeres. Die Königin der Tiefe war sie, und dies war ihr Reich. Sie lachte, leise und tief war dieses Lachen, sie kannte es noch nicht. Und dann stieg ein Gurgeln in ihr auf, ein Röcheln, ein Ringen nach Luft, und beide fielen. Sie fielen in einem einzigen Rufen, einem Singsang, einem Aufbrüllen des Meeres. Da war das Ufer. Und Stille.

    Sie saßen auf einem Berg von Kleidern. Julia begutachtete den Türrahmen.
    »Alles heil geblieben!«
    So oder ähnlich mußte es im Himmel sein. Hanno servierte Tee mit viel zu viel Honig und viel zu viel Rum.

11
    Berlin, Anfang Dezember

    Geliebte unverbesserliche Abenteurerin, diesmal bin ich es, die Dich mit unerwarteten Neuigkeiten überraschen wird, halte Dich nur fest! Ich bin also in Berlin und habe brav die Adresse aufgesucht, die mir einer dieser netten, immer gutgekleideten (und natürlich schwulen!) Kunstsammler verraten hatte. »Seien Sie bloß

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