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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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diffusen Regenlicht. An der Raiffeisenbank vorbei, an der immer noch provisorischen Poststelle. Kein Mensch zu sehen. Doch, in der Telefonzelle, die völlig beschlagen war, stand jemand. Suchte er Schutz? Telefonierte er? Schlief im Stehen oder war tot? Es war eine dieser Nächte, in denen alles möglich ist. Julia trat fester in die Pedale, obwohl ihre Knie schmerzten. Die nassen Hände rutschten auf dem Lenker unangenehm hin und her. Wieder
tauchte sie in die Dunkelheit ein, nun am Rande der Heide entlang, diesem vor kurzem noch bezaubernden, wagemutig bunten Pflanzenteppich. Jetzt war es eine lehmige, schwarze Kuhle zu ihrer Rechten, eine Falle. Zu ihrer Linken hörte sie von Ferne, ganz weit weg, das Meer. Der Regen wurde stärker. Als Julia in Nebel ankam, waren ihre Beine, waren die Schultern verspannt, als klammes, kaltes Bündel kletterte sie mühsam vom Rad. In Hannos Haus brannte Licht. Im Treppenhaus. Die Haustür war nur angelehnt. Julia klopfte, zögerte, rief. Nichts. Sie trat ein. Mit dem Rücken zu ihr, auf der Schwelle vom Flur ins Wohnzimmer, stand Hanno. Weiter war er nicht gekommen. Hatte die Arme ausgebreitet, die Hände zum Türbalken ausgestreckt und hielt sich daran fest. Die Beine waren gegrätscht, fest standen die Füße auf der Schwelle. Der Mann war wie eingespannt in eine Schraubzwinge, reglos, bewegungsunfähig.
    »Hanno?«
    Die Andeutung einer Kopfbewegung zu ihr hin, mehr nicht.
    Julia trat ein, schloß die Tür. Eine seltsame Ruhe überkam sie. Die Jacke aufgehängt, die Tasche abgestellt.
    »Hanno?«
    Er reagierte nicht.
    Sie wollte sich an ihm vorbeischieben, durch die Tür. Wollte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter legen... Wollte sie das? Natürlich nicht. Sie hatte längst verstanden. Sie wußte längst, was zu tun war. Die widerstreitenden Stimmen im Inneren wurden leiser, versiegten schließlich. Julia ließ sich Zeit. Spürte die Zeit. Hanno rührte sich nicht. Da war es wieder, dieses uralte Wissen. Julia hockte sich hin und begann. Sie begann dort bei den Fü ßen. Sie zog an seinen Schnürsenkeln, und Hanno verstand. Er schlüpfte aus den Schuhen, erst links, dann rechts. Weg
mit den Socken! Vorsichtig fing sie an, seine Fußgelenke zu massieren; die paßten genau in die Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger, in jenen Bogen. Ein Streichen, ein Reiben, ein erstes Wohlbehagen vielleicht. Sie spürte, daß er sie nicht ansah, daß er nach wie vor in irgendeine Richtung starrte, wie ein Tier, das wartet, ein Kind, das hofft, das etwas vorbeigeht. Noch war er nicht angekommen, noch war er nicht bei sich. Die störrischen Haare am Fußgelenk, die schmalen weißen Waden. Die rührten sie. Weg mit der Hose! Hanno befreite sich unsicher davon, wollte etwas fragen, ließ es. Seine Finger streiften kurz ihr feuchtes Haar. Wie sehr wir uns darauf verlassen, daß uns keiner sieht, wie selbstverständlich es ist, daß uns keiner spürt, dachte Julia. Sie biß vorsichtig in Hannos Wade, verband die imaginäre Wunde blitzschnell mit der Zunge. Salz und Haare und vertrauter Geruch, Hannos Alltagsgeruch: Arbeit und Seife und Spuren von Tieren und zu viele Sorgen. Und doch auch etwas Prickelndes, Lockendes, Mutmachendes. Seine Beine begannen zu begreifen. Standen jetzt fest. Julia fuhr mit den Händen an den Außenseiten hinauf und wieder hinab, mit kräftigen Strichen. Hanno spreizte seine Beine. Atmete anders. Er fühlte sie, er fühlte sich. Seine Haut erwärmte sich. Vorsicht an den Innenseiten! Feine, feine Membrane; die transportieren Botschaften direkt ins Gehirn. Julias Fingerspitzen wußten, wohin; sie beschrieben kleine, fragende Kreise. Ja, sagte Hanno. Ja, sagte Hannos Haut. Ja, sagten die feinen Härchen, die sich vor Behagen zu sträuben begannen. Und Julia traute sich. Sie traute sich, was sie sonst nie gewagt, was sie früher nicht begehrt und nicht gewünscht hatte. Jetzt wollte sie. Julia nahm sich den Mann. Den ganzen. Sie packte Hanno bei den Hüften. Und sie sog sich an ihm empor, an seiner Haut, an seinem Zögern, an seinem Fragen, an seinem leisen Stöhnen, seinem Atmen, seinem Schweigen.

    »Willst du mich? Sag es!«
    Julia sagte es. Einmal, vielmal. Julia küßte Hanno. Julia trank Hanno. Julia hielt Hanno fest, so wie Frauen Männer seit Jahrhunderten halten - sie tat es offen, eindeutig, mit klaren, fordernden Küssen. Mit bald weich nachgebenden, bald drängenden Lippen. Mit Zunge und Zähnen und Wimpern auch. Mit tastenden, fassenden, warmen Händen.

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