Ostwind (German Edition)
direkt voreinander standen. Sanft stupste Ostwinds Nase an Mikas Hand. Ein Lacheln breitete sich auf Mikas Gesicht aus. Sie streichelte Ostwinds kräftigen Hals.
»Du kannst doch nicht einfach so abhauen«, flüsterte sie.
Herr Kaan hatte den beiden sprachlos zugesehen.
Doch das harmonische Bild endete jäh. In der Ferne war ein Dieselmotor zu horen, der uber die Schotterstrasse heranrumpelte. Mika drehte sich um. Ostwind trabte erschrocken davon.
»Sie sind da«, sagte Herr Kaan. Dann drehte er sich um und ging.
Doch Mika lief ihm nach. »Nein!!«, rief sie überraschend heftig.
Herr Kaan blieb verwundert stehen.
»Bitte nicht. Die sperren ihn ein, das halt er nicht aus … und dann bringen sie ihn zu dem Ungarn«, erklärte Mika.
Als Mika den Ungarn erwähnte, legte sich ein Schatten auf Herrn Kaans Gesicht. Mika schöpfte Hoffnung. Doch Herr Kaan ging langsam weiter. Mika folgte ihm. Vor dem Wohnwagen warteten bereits Sam und Dr. Anders. Mika versteckte sich schnell.
»Danke, dass du angerufen hast«, sagte Herr Anders.
Herr Kaan nickte kurz.
»Wir haben alles abgegrast, aber dass sich das Vieh ausgerechnet bei dir versteckt …«, sagte Sam.
»Ein Pferd ist kein Stuck Vieh«, korrigierte ihn sein Großvater.
Dr. Anders nahm das Betaubungsgewehr aus dem Wagen und wollte an Herrn Kaan vorbei. Doch der stellte sich ihm unerwartet in den Weg.
»Nicht so«, erklärte er und deutete auf das Gewehr.
»Anders kriegen wir ihn aber nicht«, sagte Dr. Anders mit Blick auf Herrn Kaans blutigen Ärmel. »Die Erfahrung hast du wohl auch schon gemacht.«
Sams Großvater druckte den Gewehrlauf zur Seite. Er ließ seinen Enkel dabei nicht aus den Augen. »Ich sagte: nicht so.«
»Jetzt sei halt nicht so stur! Was ist, wenn er dich beim nachsten Mal nicht nur am Arm erwischt!?«, rief Sam ärgerlich.
Doch Herrn Kaans ruhige Entschlossenheit war nicht zu brechen.
Schließlich zuckte Dr. Anders mit den Schultern und ließ das Gewehr sinken. »Von mir aus. Dann behalt ihn halt hier, bis er abgeholt wird. Frau Kaltenbach ist das sicher mehr als recht. Bringt eh nur Unfrieden in den Stall. Ich frage mich nur, ob du weißt, was du da tust.«
Die Seelenruhe in Herrn Kaans Blick ließ Dr. Anders verstandnislos den Kopf schutteln. Er drehte sich um und ging zum Wagen.
Sam schaute seinen Großvater bose an. »Kein Wunder, dass Frau Kaltenbach dich gefeuert hat«, sagte er. Seine Stimme klang bitter. Dann ließ auch er seinen Großvater stehen und stieg zu Dr. Anders in den Wagen.
Herr Kaan schaute den beiden nach, bis sie hinter den Tannen verschwunden waren. Erst jetzt tauchte Mika wieder hinter der Laube auf. »Danke!«, flüsterte sie und zu ihrer beider Uberraschung umarmte Mika Herrn Kaan ebenso innig wie unbeholfen. Dann rannte sie davon.
Herr Kaan blickte ihr nachdenklich hinterher.
8. Kapitel
Mika rannte zurück zum Gutshof. Sie fühlte sich unendlich erleichtert. Ostwind war wieder da! Und es ging ihm besser als zuvor, denn er war nicht mehr eingesperrt und in guten Händen. Für den Moment zumindest …
Mika legte einen Zahn zu, denn sie wollte so schnell wie möglich zurück in ihrem Zimmer sein, damit es für heute weiter keinen Ärger gab. Doch gerade als sie am Gutshaus ankam, sah sie, wie ihre Großmutter das Haus betrat. Mika spähte ihr vorsichtig hinterher und sah, wie sie mit ihrem Stock langsam die Treppe hinaufstieg. Mika blieb also nur das Vordach unter ihrem Fenster als Weg. Die Dachrinne bog sich gefährlich unter ihrem Klimmzug und der Weg über die moosigen Dachziegel hinauf war noch deutlich anstrengender als hinunter. Erschöpft ließ sich Mika durch das Fenster in ihr Zimmer plumpsen. Im nächsten Moment klopfte es auch schon an ihrer Tür.
Mika huschte zum Schreibtisch und griff sich die Knobeleien der Quantenmechanik , ohne zu bemerken, dass sie sich das Buch falsch herum vor die Nase hielt.
»Ja?«, rief Mika, noch immer außer Atem.
Ihre Großmutter betrat das Zimmer. Sie warf einen kurzen Blick auf das Buch.
»Ich wurde gerne mit dir reden«, sagte sie ruhig.
Mika legte artig das Buch auf den Schreibtisch. Zu ihrem Schrecken sah sie nun die schmutzigen Handabdrucke, die sie auf den weißen Umschlag gepatscht hatte. Auch ihre Großmutter sah sie. Aber sie lachelte milde.
»Ich hatte die Tur nicht offen lassen durfen. Er ist einfach nur erschrocken!«, rief Mika schnell.
Maria setzte sich neben Mika. »Darum geht es gar nicht. Du bist hier, weil deine Mutter mich um etwas
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