Ostwind (German Edition)
dem Pferd helfen. Aber sie würden einen Trainer für Mika brauchen. Und das war das Problem.
»Was soll’s«, seufzte er schließlich. »Ich wusste nur einen Menschen, der irre genug ware, so was zu versuchen.«
Mika war nicht wenig überrascht, als Sam sie zur Laube seines Großvaters führte. Herr Kaan bat sie freundlich hinein. Und so zogen Sam und Mika ihre Schuhe aus, setzten sich im Schneidersitz zu ihm und erzählten ihren Plan, wie sie Ostwind retten wollten, und dass sie einen Trainer bräuchten.
Nachdem sie geendet hatten, sagte Sams Großvater lange nichts. Er nippte an einem dampfenden Teeglas. Endlich rausperte er sich. »Nein«, sagte er.
Mika und Sam sahen ihn ungläubig an. »Nein?«, fragte Mika.
»Und warum nicht?«, fragte Sam.
»Weil ich mir geschworen habe, ein kaputtes Pferd nie wieder zu etwas zu zwingen«, erklärte Herr Kaan. Seine Miene blieb unbewegt.
Sam stand wütend auf. »Dann war das also doch nur ein Marchen!«, sagte er und nickte in Richtung der Schnitzerei: Das Pferd mit dem Schlafer.
Sams Großvater schwieg.
»Komm«, sagte Sam zu Mika.
Aber Mika ruhrte sich nicht. Sie sah Herrn Kaan an. »Ich dachte, nichts ist so kaputt, dass man es nicht reparieren kann«, sagte sie.
Herr Kaan richtete sich auf und sah Mika nachdenklich an. Sein Blick schweifte zu den geschnitzten Figuren. Dann wieder zu Mika.
»Kannst du ihn spuren?«, fragte er schließlich.
Sam schaute fragend von Mika zu seinem Großvater. Was sollte das nun wieder heißen?
Zu Mikas eigener Uberraschung wusste sie die Antwort auf Herrn Kaans Frage sofort: »Ja«, sagte sie mit fester Stimme.
»Weißt du, warum er mich getreten hat?«, fragte Herr Kaan.
»Sie hatten Angst. Und das hat ihm Angst gemacht«, erklärte Mika. Sie dachte kurz nach. »Er ist … wie ein Spiegel.«
Im Bauwagen herrschte nun absolute Stille. Herr Kaan nickte nachdenklich. »Also gut. Bis Morgen«, sagte er schließlich.
Mika strahlte. Herr Kaan glaubte an sie! Er glaubte an Ostwind! Sie hätte die ganze Welt umarmen können.
Als Mika und Sam vor dem Bauwagen ihre Schuhe anzogen, stand die Sonne bereits tief am Horizont. Sam schien von der Situation noch immer ein wenig überfordert. »Er war mal Springtrainer, einer der besten, aber dann ist er ziemlich … naja, abgedreht. Und hat sich mit deiner Großmutter zerstritten«, erzählte er, während er auf Mika wartete, die ihre Turnschuhe schnürte.
»Warum denn?«, wollte Mika wissen.
»Wegen ihrer Trainingsmethoden. Die sind manchmal ganz schon hart. Aber das ist der Sport. Er hat gesagt, sie ›hort den Pferden nicht mehr zu‹. Was auch immer das bedeutet«, erklärte Sam.
Mika schulterte ihren Rucksack.
»Kommst du nicht mit zurück?«, fragte Sam.
Mika grinste. Es war offensichtlich, dass sie jetzt sofort zu Ostwind wollte.
»Und wenn jemand fragt, bist du in deinem Zimmer und lernst?«, fragte Sam.
Mika nickte. »Danke«, sagte sie und sah Sam für einen Moment direkt in die Augen. Dann rannte sie hinüber zur Koppel.
Ostwind stand friedlich grasend auf der Weide und witterte Mika schon von Weitem. Er hob den Kopf und spitzte die Ohren.
»Hey, ich hab so richtig gute Nachrichten«, rief Mika, während sie ihm entgegenrannte.
Der Hengst galoppierte freudig auf sie zu. Auf Mikas Gesicht breitete sich ein glückliches Lächeln aus. Nach all den sorgenvollen Gedanken genoss sie diesen unbeschwerten Moment aus tiefstem Herzen. Denn sie wusste: Morgen war es mit dem Spielen erst einmal vorbei. Dann begann die Arbeit. Sie musste beim Training alles geben.
Für Ostwind.
10. Kapitel
Früh am nächsten Morgen lief Mika in die Sattelkammer. Sie wollte schon gleich alles Notwendige für ihre erste Reitstunde bei Herrn Kaan mitbringen. Doch angesichts der riesigen Auswahl an glänzenden Ledersätteln, blank geputzten Stiefeln, Trensen, Hosen und Helmen hielt sie ratlos inne.
Zögernd griff Mika schließlich nach einem kompliziert aussehenden Gewirr aus Lederriemen, als sie plötzlich Tinkas Stimme hinter sich hörte: »Willst du die Kutsche anspannen?«
Mika fuhr herum. Sie fühlte sich peinlich ertappt, denn Tinka hatte die ganze Zeit hinter der Tur gesessen und ein paar Reitstiefel poliert.
»Ahh … ich … also, ganz theoretisch, was brauchte man denn als Anfangerin?«, fragte sie.
Tinka lachelte spitzbubisch. »Ich wurde eine doppelt gebrochene Wassertrense nehmen«, sagte sie. Dann stand sie auf und reichte Mika eine Trense vom Haken. Mika staunte.
»Und auf jeden
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