Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Seine Stimme klang weniger sicher als seine Worte.
»Eines Tages wirst du vielleicht froh sein über mein Getue. Ich möchte deine Frau nicht unbedingt kennenlernen, Del Ray, aber ich will auch nicht, daß ihr was zustößt, und wie es aussieht, habe ich mich mit Leuten angelegt, die nicht sehr wählerisch sind.«
Seine Augen wurden schmal. »Würdest du jetzt bitte zur Sache kommen.«
Sie erzählte von Anfang an, wobei sie so allgemein blieb, wie es ging, und so beiläufig wie möglich über die verschiedenen Male hinwegging, bei denen sie ihre Position an der TH mißbraucht oder gegen UNComm-Bestimmungen verstoßen hatte. Ab und zu bat sie !Xabbu , einen Punkt zu bestätigen, und der kleine Mann tat es, wenn auch stets mit einer leicht geistesabwesenden Miene. Renie hatte wenig Aufmerksamkeit übrig, aber sie wunderte sich über seine Stimmung und überlegte kurz, was sie wohl zu bedeuten hatte.
Del Ray blieb weitgehend still und unterbrach nur, um konkrete Fragen zu stellen. Das Innenleben von Mister J’s schien ihn zu interessieren, aber als sie ihm ihre Spekulationen über den Club mitteilte, schüttelte er nur ausdruckslos den Kopf.
Als sie zu den aktuellen Ereignissen kam und ihm das Feuer in ihrem Wohnblock und Susans Ermordung schilderte, reagierte er nicht gleich, sondern beobachtete eine Möwe, die sich auf einem Geländer putzte.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die ganze Geschichte ist … erstaunlich.«
»Was heißt das?« Ein Funken Zorn loderte auf. »Heißt das erstaunlich verrückt oder erstaunlich in dem Sinne, daß du alles tun wirst, was in deiner Macht steht, um mir zu helfen?«
»Ich … ich weiß es wirklich nicht. Es ist ziemlich viel zu verdauen.« Er fixierte sie, vielleicht um abzuwägen, wie gut er sie nach all den Jahren, in denen sie keinen Kontakt gehabt hatten, noch kannte. »Und es ist mir auch nicht ganz klar, was ich für dich tun soll. Ich gehöre nicht der Sicherheits- oder der Polizeiabteilung von UNComm an. Ich bin im Wirtschaftsressort, Renie. Ich helfe Ladenketten dabei, ihre Systeme nach den UN-Richtlinien auszurichten. Von den Sachen, die du erzählst, habe ich keine Ahnung.«
»Verdammt nochmal, Del Ray, du gehörst zum Politbüro, wie wir es früher genannt haben, du bist ein Insider! Du mußt etwas tun können, und wenn du mir nur zu Informationen verhilfst. Werden diese Leute überhaupt kontrolliert? Hat irgend jemand außer mir ungute Erfahrungen mit dieser Happy Juggler Novelty Corporation gemacht? Wer steckt dahinter? Ich brauche Antworten von jemand, dem ich trauen kann. Ich habe Angst, Del Ray.«
Er runzelte die Stirn. »Natürlich werde ich alles tun, was ich kann …«
»Außerdem muß ich, glaube ich, in TreeHouse reinkommen.«
»TreeHouse? Warum denn das, um Gottes willen?«
Sie überlegte kurz, ob sie ihm von Susans Mitteilung auf dem Totenbett erzählen sollte, aber entschied sich dagegen. Susans mühsam hervorgebrachte letzte Worte waren nur ihr, !Xabbu und Jeremiah Dako bekannt. Sie wollte sie noch ein Weilchen geheimhalten. »Ich muß einfach rein. Kannst du mir helfen?«
»Renie, ich hab’s nicht geschafft, in TreeHouse reinzukommen, als ich noch ein Hasch rauchender, rund um die Uhr häckender Student war.« Er lächelte ironisch. »Meinst du, ich könnte heute, wo ich zum UNComm-Establishment gehöre, auch nur in die Nähe von denen kommen? Für die sind wir der Feind.«
Jetzt war es an ihr, die Stirn zu runzeln. »Das hier ist kein Kinderspiel. Du weißt, daß ich nicht fragen würde, wenn ich nicht wirklich wirklich Hilfe bräuchte.« Sie blinzelte gegen die Tränen an. »Verdammt, Del Ray, mein kleiner Bruder … ist…« Sie brach ab, um ja nicht in dieser gefährlichen Richtung weiterzugehen. Lieber wollte sie sterben, als vor ihm weinen.
Er stand auf und nahm ihre Hand. Er sah immer noch sehr gut aus. »Ich werde mich umhören, Renie. Bestimmt. Ich schau mal, was ich finden kann.«
»Sei vorsichtig. Selbst wenn du mich für verrückt hältst, nimm einfach an, ich wär’s nicht, und leg lieber zu viel Vorsicht an den Tag als zu wenig. Mach nichts Leichtsinniges, und erreg kein Aufsehen.«
»Ich ruf dich zum Ende der Woche an.« Er reichte !Xabbu die Hand. »Nett, dich kennengelernt zu haben.«
Der kleine Mann erwiderte den Händedruck. »Alles, was Frau Sulaweyo gesagt hat, ist wahr«, erklärte er ernst. »Das sind schlechte Menschen. Du darfst das nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
Del Ray nickte leicht verwirrt
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