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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schlagen.
    »Laß uns in Frieden!« Wild strampelnd manövrierte Paul das große Holzteil zwischen sie und das Schnauzenwesen.
    Das Wesen holte nicht mit dem Paddel aus, sondern schaute sie einen Moment lang nur an. Dann senkte es das flache Blatt, bis dieses ein kurzes Stück vor Pauls Hand das Wasser berührte. Es nahm eine seiner mit Klauen versehenen, leicht froschartigen Pfoten vom Griff und machte eine unverkennbare Geste – greif zu, greif zu.
    Paul hatte kein großes Vertrauen, aber er erkannte auch, daß es seine Verteidigungsposition bedeutend verbesserte, wenn er ein Ende des Paddels faßte. Er packte zu. Das Wesen holte das Paddel durchs Wasser zu sich heran und stemmte sich dabei gegen die Bootswand, um nicht überzukippen. Als sie nahe genug waren, hob Paul Gally in das kleine Boot und zog sich dann selbst über den Rand, wobei er ein wachsames Auge auf ihren Retter gerichtet hielt.
    Das Wesen sagte etwas mit einer Stimme, die sich mehr wie Entengeschnatter als sonst etwas anhörte. Paul schüttelte ratlos den Kopf. »Wir sprechen deine Sprache nicht.«
    »Was ist das für einer?« fragte Gally. Paul schüttelte abermals den Kopf.
    Der Fremde bückte sich abrupt und langte in einen breiten Lederbeutel, der auf dem Boden des Bootes lag. Paul spannte die Muskeln an und richtete sich auf. Das Wesen stand auf, und mit einem Ausdruck der Befriedigung in seinen hellen Augen und seinem langem Gesicht streckte es beide Hände aus. In jeder hielt es ein Lederband mit einer großen geschliffenen Perle daran. Die Perlen hatten eine sahnig spiegelnde Oberfläche, wie echtes Perlmutt. Als Paul und Gally nur verständnislos darauf blickten, bückte sich das Wesen abermals, holte eine dritte Perlenschnur hervor und band sie sich um den Hals, so daß die Perle in der Mulde unter seinem Kehlkopf zu liegen kam. Paul meinte, die Perle einen Moment glitzern zu sehen, dann wechselte sie offenbar die Farbe und nahm etwas von der gelblich jadegrünen Hautfarbe des Wesens an.
    »Jetzt ihr«, sagte das Wesen. Seine Stimme quakte noch ein wenig, aber ansonsten war sie völlig verständlich. »Beeilt euch, die Sonne geht bald auf. Wir dürfen uns nicht außerhalb der erlaubten Zeit auf dem Großen Kanal erwischen lassen.«
    Paul und Gally legten ihre Bänder an. Die Perle wurde warm an Pauls Hals. Nach einer Weile fühlte sie sich wie ein Teil von ihm an.
    »Wie heißt ihr?« fragte das Wesen sie. »Ich bin Kluru vom Fischervolk.«
    »Ich … heiße Paul. Und das ist Gally.«
    »Und ihr seid beide Tellarier.«
    »Tellarier?«
    »Gewiß doch.« Kluru schien da sehr sicher zu sein. »Ihr seid Tellarier, so wie ich ein Ullamarier bin. Schaut euch an! Schaut mich an!«
    Paul zuckte mit den Achseln. Es war kein Zweifel, daß ihr Retter einer anderen Art angehörte als sie. »Du sagst, wir sind auf … dem Großen Kanal?«
    Kluru runzelte seine niedrige, hundeartige Stirn. »Natürlich. Selbst Tellarier sollten das wissen.«
    »Wir sind … wir waren ziemlich lange im Wasser.«
    »Aha. Und ihr seid nicht ganz richtig im Kopf.« Er nickte befriedigt. »Natürlich. Dann müßt ihr mitkommen und meine Gäste sein, bis ihr wieder richtig denken könnt.«
    »Vielen Dank. Aber … wo sind wir?«
    »Was für eine sonderbare Frage, Tellarier. Ihr seid kurz vor der mächtigen Stadt Tuktubim, dem leuchtenden Stern der Wüste.«
    »Aber wo ist das? In welchem Land? Warum gibt es hier zwei Monde?«
    Kluru lachte. »Wann hätte es je keine zwei Monde gegeben? Selbst der einfachste Nimbor weiß, daß das der Unterschied zwischen deiner Welt und meiner ist.«
    »Meiner… Welt?«
    »Du mußt argen Schaden genommen haben, daß du dermaßen töricht fragst.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Du bist auf Ullamar, der vierten Welt von der Sonne aus. Ich glaube, deine Leute in ihrer Unwissenheit nennen sie ›Mars‹.«
     
    »Warum müssen wir den Kanal verlassen haben, bevor die Sonne aufgeht?«
    Kluru paddelte beim Antworten weiter, indem er erst auf der einen Seite des Bootes, dann auf der anderen das Paddel eintauchte und durchzog. »Weil jetzt die Festzeit ist, und in den dunklen Stunden ist der Kanal allen außer den Schiffen der Priester verboten. Aber wenn ein armer Nimbor wie ich beim Fischfang am Tag kein Glück gehabt hat, muß er manchmal das Wagnis eingehen, wenn er nicht verhungern will.«
    Paul setzte sich kerzengerade auf; Gally, der an seinem Knie gelehnt hatte, protestierte schläfrig. »Es war also doch eine Art religiöses Ritual.

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