Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Wasser geworfen, aber ich schwimme!«
Die große Stadt Tuktubim lag außer Sicht oben auf den Felsen, doch obwohl sie höchstens zwei Kilometer entfernt war, gab es keinen direkten Weg die Berge hinauf. Statt dessen verfrachtete Kluru sie wieder in sein Boot, und abermals fuhren sie auf den Kanal hinaus. Paul fragte sich, ob hinter der Unmöglichkeit eines direkten Zugangs die Absicht stand, einen gewaltsamen Aufstand der Arbeiter wirksamer vereiteln zu können.
Als sie sich von dem Nimbordorf entfernten, konnte Paul endlich die ganze Ausdehnung der Felsen sehen, die in der Mittagssonne eine dunkle, bräunlich rote Farbe hatten. Ganz oben, kaum zu erkennen, ragten die Spitzen etlicher hoher Türme über den Rand, mehr war von der Stadt nicht zu sehen. Als die Felsen hinter ihnen zurückblieben und das Boot im großen Bogen um das Massiv herumfuhr, wurde die ungeheure Weite der roten Wüste deutlich. Zu beiden Seiten des Großen Kanals, unterbrochen nur von fernen Bergen auf einer Seite und dem Gittermuster kleinerer Kanäle, erstreckte sich, so weit das Auge reichte, ein langsam wandernder und leise zischender scharlachroter Sandozean.
»Gibt es da draußen noch andere Städte?« fragte Paul.
»O ja, aber in jeder Richtung ist es außerordentlich weit bis zur nächsten Stadt.« Kluru spähte den Wasserlauf hinunter. »Es empfiehlt sich nicht, ohne gründliche Vorbereitung auf die Suche nach ihnen zu gehen, nicht einmal auf den Kanälen. Gefährliche Gegenden. Wilde Tiere.«
Gallys Augen weiteten sich ein wenig. »Wie das Ding da im Wasser …!« fing er an, da summte es plötzlich laut über ihnen am Himmel. Als er und Paul aufschauten, veränderte sich das Licht. Der strahlende gelbliche Himmel nahm eine widerliche stumpfgrüne Farbe an, und die Luft ringsherum wurde nahezu körperlich dicht.
Paul kniff die Augen zusammen. Einen kurzen Augenblick lang hatte es so ausgesehen, als würden der Kanal und der Himmel zu einem funkelnden, körnigen Ganzen verfließen. Jetzt war wieder alles wie vorher.
»Was war das? Als wir gestern nacht auf dem Fluß waren, war es auch schon.«
Kluru machte wieder lebhafte Zeichen zum Schutz vor bösen Mächten. »Ich weiß nicht. Merkwürdige Stürme. In letzter Zeit hat es mehrere gegeben. Die Götter zürnen, vermute ich, kämpfen untereinander. Wenn es nicht schon vor Monaten angefangen hätte, würde ich sagen, es käme daher, daß du das Festtabu gebrochen hast.« Er machte ein finsteres Gesicht. »Allerdings bin ich sicher, daß du die Laune der Götter nicht verbessert hast.«
Der Große Kanal beschrieb einen weiten Bogen um die Berge, auf denen Tuktubim lag. Während das Boot auf den Seitenkanal zuhielt, der zur Stadt führte, blickte Paul über die rissigen Felder, die sich zu beiden Seiten ausdehnten. Er verstand jetzt, warum der Regen bei den Ullamariern in solch hohem Ansehen stand. Es war kaum zu glauben, daß irgend etwas dieses flache, sonnenverbrannte Land fruchtbar machen konnte, aber nach Klurus Angaben wurde jeder Getreidehalm auf dem Mars auf den nur wenige Kilometer breiten Uferstreifen des Großen Kanals angebaut und jedes Herdentier dort geweidet. Als ob ein winziger Lebensfaden durch die ungeheure Wüste liefe. Ein Jahr ohne Regen, und die halbe Bevölkerung konnte sterben.
Auf dem Kanal sei jetzt weniger Betrieb als kurz nach Sonnenaufgang und kurz vor Sonnenuntergang, hatte Kluru ihnen versichert – der Hitze wegen blieben die meisten Leute in den Häusern –, aber in Pauls Augen war er nahezu überfüllt von großen und kleinen Wasserfahrzeugen. Die meisten waren mit einem oder mehreren Nimboren wie Kluru bemannt, aber manche beförderten auch Taltorsoldaten oder andere in weniger militärischer Tracht, in denen Paul Kaufleute oder Beamte vermutete. Einige der Schiffe waren noch größer und spektakulärer als das priesterliche Langboot, das an der Insel angelegt hatte, und so überladen mit Goldwerk und Zierat, so mit wallenden Stoffen behängt und mit reich geschmückten Adeligen vollgestopft, daß es ein Wunder war, daß sie nicht einfach auf den Grund des Kanals sanken. Das gleiche, fand er, ließ sich von einigen der maßlos übertrieben gekleideten Taltoren sagen.
Kluru lenkte das Boot in einen kleineren Kanal, der am Fuß der Berge abging. Von dieser Seite aus konnten sie die Stadt selbst sehen, die dicht unterhalb der Kuppe in den Fels geschmiegt auf die fächerförmig angelegten Felder hinabblickte, die sich vom Bogen des Großen
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